Zeughauskino zeigt deutsch-deutsche Industriefilme: Im Windschatten des Kommerzes

In der Reihe „Fortschritt als Versprechen“ sind Industriefilme aus beiden Teilen Deutschlands zu sehen, die zwischen 1950 und 1990 entstanden.

So sieht Automatisierung in den Unternehmensfilmen von Volkswagen aus.
So sieht Automatisierung in den Unternehmensfilmen von Volkswagen aus.Volkswagen AG

Optimistisch durchquert ein Mann mit Pferd die Wüste. Schnell wird klar, dass er dem schier endlosen Weg nicht gewachsen ist, Fieber steigt in ihm auf, Geier umkreisen ihn. Zum Glück hat er Aspirin dabei. Bald können Ross und Reiter die Reise fortsetzen. Diese kurze Animation ist ein Film im Film, Teil einer längeren, 1969 von der Bayer AG hergestellten Auftragsarbeit. Hinter „Die Vergangenheit der Zukunft ist jetzt“ verbirgt sich ein hoch spannender, 40-minütiger Exkurs über die Flüchtigkeit dessen, was Fortschritt genannt wird.

Der Regisseur Ferdinand Khittl, ein Mitverfasser des Oberhausener Manifests, weist in seinem erstaunlich skeptischen Exkurs eindrücklich auf die Relativität von Erkenntnissen hin. Was heute noch als unverrückbare Wahrheit gilt, kann schon morgen ein Irrweg sein. In diesen Kontext wird auch die zeitweilig fast mythisch empfundene Wirkung des Aspirins gestellt. Der Film geht in seiner Skepsis noch weiter, stellt zuletzt sogar sich selbst in Frage – für ein als Werbung hergestelltes Produkt eine durchaus ungewöhnliche Haltung.

Zu entdecken ist Khittls Arbeit in einer Reihe mit von 1950 bis 1990 in beiden Teilen Deutschlands entstandenen Industriefilmen. Damit öffnet sich der Blick auf ein von der Geschichtsschreibung weitgehend ignoriertes Genre. Entstanden zur Information von Kunden und Mitarbeitern, konnten die Launen des konventionellen Publikums ignoriert werden. Und da große Firmen über reichlich Finanzen verfügten, spielte das Budget meist eine untergeordnete Rolle. Dies bot originellen Künstlern wie Khittl – dem es bezeichnenderweise nie gelang, im „richtigen Kino“ Fuß zu fassen – überraschende Freiräume. Im kommerziellen Windschatten konnte sich dadurch ein quasi klandestiner Strang der Filmgeschichte entwickeln.

Besonders spannend wird die Retrospektive im Grenzbereich zur Avantgarde

Schon früh stellte der Kino-Archäologe Amos Vogel in seinem legendären „Cinema 16“ Industrie- und andere Funktionsfilme gleichberechtigt neben cineastisch anerkannte Werke. Tatsächlich wird auch die gezeigte Retrospektive in den Grenzbereichen zur Avantgarde besonders spannend, herausragend im Fall von „Schöpfung ohne Ende“ (1956), ebenfalls von der Bayer AG. Den Soundtrack schrieb kein Geringerer als der Hindemith-Schüler Oskar Sala, Wegbereiter der elektronischen Musik. Sein orchestral eingesetztes Trautonium trägt den gesamten Film. Eine großartige Ausgrabung.

Nicht alle Beiträge erreichen dieses hohe artistische Niveau. Sehenswert, weil unbekannt, sind alle. Die Beispiele aus der DDR stellen dabei Sonderfälle dar, da sie oft als Werbeträger für internationale Messen entstanden; einen konkurrierenden Binnenmarkt gab es ja nicht. Wenn etwa in Christoph Czernys poppigen Clips für Autos Reklame gemacht wird, auf die der normalsterbliche Ostdeutsche mehr als 15 Jahre warten musste, ist für unfreiwilligen Humor gesorgt.

Filmreihe „Fortschritt als Versprechen. Industriefilm im geteilten Deutschland“ Zeughauskino (Pei-Bau), noch bis 31. März