Gottlose Megalopolis: Inspector John Luther ist zurück!
In „Luther: The Fallen Sun“ jagt der legendäre Londoner Ermittler einen irren Psychokiller. Und dies in Spielfilmlänge, was der Sache nicht durchweg guttut.

Detective Chief Inspector John Luther ist zurück, und noch immer schafft er es, den Bildschirm respektive die Leinwand in jeder Hinsicht zu entflammen. Dieser Blick zwischen Verletzlichkeit und Persistenz, dieser Bariton mit dem schlecht unterdrückten Ost-Londoner Einschlag, die Boxerstatur, in der man das Boxerherz nahezu schlagen hört – all das schafft eine unmittelbare, durchaus einschüchternde Vertrautheit mit diesem von Idris Elba gespielten Kriminaler, die fast die Dimensionen sprengt. Immer wieder verlangt Luther bei seinen Ermittlungen schier Unmögliches von den Leuten, und immer wieder kriegt er, was er will – und auch der Zuschauer frisst ihm aus der Hand, spätestens, wenn er hoch über den Dächern Londons seinen inzwischen ikonischen alten Tweedmantel überstreift und in all seiner Glorie auf die nächtliche Stadt hinabblickt.
Weil das Unmögliche gelegentlich schlicht illegal ist, wandert er zu Beginn von „Luther: The Fallen Sun“ erst mal in den Knast. Damit macht diese als Spielfilm deklarierte Spezialepisode dort weiter, wo die seit 2010 in bislang fünf Staffeln erzählte BBC-Serie endete. Und so kriegt Luther erst mal nur aus der Ferne mit, dass London von einem psychopathischen Killer terrorisiert wird, der einen Spaß daran entwickelt, besonders grausame Morde zu planen und öffentlich zu inszenieren. Andy Serkis spielt ihn mit der ihm eigenen Gollum’schen Scheußlichkeit.
Es dauert nicht lange, ehe Luther draußen ist. Denn natürlich kann er ein paar Wärter davon überzeugen, eine Gefangenenmeuterei zu provozieren, die er zur Flucht nutzt. Sie: „If it goes wrong, spins out of control, you’re a dead man.“ Er: „Alright, I can live with that.“ Die deutsche Synchronisation verbaselt diesen wunderbaren Dialog übrigens. Überhaupt muss von jeder anderen Version als der englischen Originalfassung abgeraten werden, welche bei Netflix gottlob zum Angebot gehört – anders als im ZDF, wo die Serie ganz ursprünglich lief.
So ist also Luther hinter dem irren Serienmörder her, und die neue Polizeichefin Odette Raine, gespielt von Cynthia Orivo, hinter Luther. Und es entspinnt sich der schon für die Serie typische Mix aus harter Action und Psychokrieg, während die Kamera rastlos durch ein London vagabundiert, das so gottlos megalopolisch glitzert, wie es auch das echte London nicht ansatzweise hinbekommt.
Das Drehbuch (und auch das Kalkül des Killers) baut auf der Prämisse auf, dass Menschen aus Scham zu den schlimmsten Dingen fähig sind – und dass die Angst, wegen abnormen Verhaltens von der Gesellschaft geächtet zu werden, größer sein kann als die Angst vor dem Tod – und transzendiert dies zu einem Katz- und Mausspiel. Und während Luther also nach und nach in die Spur kommt, tauchen die Zuschauer ins Denken und Tun des Killers ein. Der späht übers Internet allerlei Geheimnisse von Leuten aus und erpresst sie dann, ihm zu Diensten zu sein. So züchtet er sich eine Armee von Verlorenen und Verzweifelten heran, die sich in makabren Spielen üben, die er wiederum in die Welt streamt.
Was ihn treibt, wird allerdings nie so ganz klar – genauso wenig, warum er mit seinen Henkern Estnisch spricht, sein Hauptquartier aber wiederum in Norwegen hat, wo sich das spektakuläre Finale des Films abspielt. Und so schockierend die streng durchchoreographierten Vielfachmorde sind – warum sich seine Opfer nicht gleich die Kugel geben und sich stattdessen auf Geheiß selbst oder gegenseitig umbringen, bleibt ebenfalls rätselhaft. Darüber hinaus erfährt man nicht von einem von ihnen das vermeintlich so schlimme Geheimnis – bleibt aber nicht zuletzt deshalb für zwei Stunden und länger dran.
So ist das natürlich prinzipiell freudige und durchweg feurige Wiedersehen mit dem definitiv coolsten TV-Ermittler der letzten zehn Jahre doch etwas getrübt. Vielleicht war es auch einfach mal gut mit Luther, und Idris Elba sollte den Tweedmantel an den Nagel hängen und sich neuen Aufgaben zuwenden. Wir hätten da eine Idee.
2 von 5 Punkten.
Luther: The Fallen Sun. Spielfilm, 129 Min., seit 24.2. in ausgewählten Kinos, ab 10.3. bei Netflix