Deutscher Drehbuchpreis für „Martin liest den Koran“
Die Drehbuch-Lola ging an ein Kammerspiel um einen Islamisten und einen Islamwissenschaftler. Claudia Roth musste sich bei der Verleihung einiges anhören.

Normalerweise findet die Verleihung des deutschen Drehbuchpreises während der Berlinale statt. In diesem Jahr wurde der Termin pandemiebedingt verschoben und damit funktioniere auch der Running Gag der Branche nicht, scherzte Jan Herchenröder vom Verband Deutscher Drehbuchautoren zum Auftakt des Abends. Der geht sonst so: „Herzlich willkommen zur einzigen Veranstaltung des Filmfestivals, zu der auch Drehbuchautoren eingeladen sind.“
Der Witz hat einen sehr wahren Kern. Und auch die Tatsache, dass es Drehbuchautorinnen und -autoren in Deutschland nicht nur an öffentlicher, sondern auch an finanzieller Wertschätzung fehlt, klang am vergangenen Dienstagabend immer wieder an. In ihrem Beruf frage man sich ständig, ob man sich in der Hoch- oder Subkultur bewege, erklärte die Moderatorin des Abends, Nicole Mosleh, Autorin und Vorstandsmitglied des VDD: „Wir selbst empfinden unsere Arbeit als hochkulturell, aber wenn man fürs Kino schreibt, fühlt sich das Honorar sehr schnell nach Subkultur an. Dann fällt schon mal der sehnsüchtige Blick zur Seite, wenn der Filmhund mehr verdient als wir.“ Mit dem Aufruf, der Drehbuchabteilung einen größeren Anteil des Gesamtvolumens der Filmförderung zukommen zu lassen, wandte sie sich direkt an die Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die vor Ort war, um den Preis zu vergeben – der VDD fordert das seit Jahren, bisher ohne Erfolg.
Für die Entwicklung von Drehbüchern können Autoren in Deutschland Geld aus verschiedenen Fördertöpfen beantragen, die Filmförderungsanstalt FFA bewilligt beispielweise in der Regel jeweils 25.000 Euro für knapp 20 Projekte pro Jahr. Das klingt viel, doch bis zum fertigen Ergebnis vergehen oft mehrere Jahre, in denen das Buch durch diverse Instanzen gehen und immer wieder überarbeitet werden muss – viele Autoren leben folglich prekär.
Bei Streaming-Produktionen haben Autoren mehr zu sagen
Durch den Aufstieg der Streaminganbieter hat sich die Situation für einige von ihnen zwar verbessert, weil sich mittlerweile auch deutsche Streaming-Produktionen an internationalen Modellen orientieren, bei denen den Schreibern mehr kreative Macht, Verantwortung und auch Kompensation zugesprochen wird. Bei den öffentlich-rechtlichen Sendern gibt es bei der Anerkennung für die Kreativen aber weiterhin viel Luft nach oben. Dahingehend äußerte Mosleh die Hoffnung auf Reformen im Rahmen des neuen Medienstaatsvertrags. Man solle bitte an Struktur und nicht am Programm sparen: „Lieber öffentlich-rechtlicher Rundfunk, lass dich von uns retten, wir lieben dich!“
Auch die diesjährigen Gewinner haben mehrere Jahre lang an ihrem Buch gearbeitet. Michail Lurje und Jurij Saule erzählen in „Martin liest den Koran“ von einem Familienvater, der sich erst vor Kurzem dem Islam zugewandt hat und nun mit einem Islamwissenschaftler besprechen will, inwiefern seine Anschlagspläne mit dem Koran zu vereinbaren sind. Jurij Saule hat das Buch mittlerweile verfilmt, mit Ulrich Tukur und Zejhun Demirov in den Hauptrollen.
Der erkrankte Lurje ließ seine Dankesrede von seiner Ehefrau vor Ort verlesen. Es sei auf den ersten Blick eine seltsame Idee für einen in der Sowjetunion geborenen Juden, fünf Jahre seines Lebens darauf zu verwenden, ein Drehbuch über die Deutung des Koran zu schreiben. „Vielleicht war es aber auch die beste, die ich je hatte. Weil ich wirklich davon überzeugt bin, dass man eine Geschichte nicht danach bewerten sollte, wie gut sie zu unserer Identität passt, sondern danach, wie gut sie selbst ist.“ Man habe die Position radikaler Islamisten ernst nehmen wollen, ergänzte sein Co-Autor, denn der Wunsch nach Verständnis sei die Voraussetzung für jeden Dialog. Mit dem Preis geht eine Prämie von 10.000 Euro einher.
Ebenfalls nominiert waren Felix Hassenfratz für „Frieda – Kalter Kireg“ sowie Emily Atef und Daniela Krien für „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“. Bereits die Nominierungen sind mit jeweils 5.000 Euro dotiert.