Deutscher Filmpreis: Eine Gala in der Krise
Kaum jemand schaut die Lola-Verleihung und das hat Gründe. Dieses Jahr haben Sie verpasst: einen wirren Detlev Buck, frustrierte Produzenten und Jürgen Jürges.

Man könnte fast auf die Idee kommen, die Verantwortlichen wollten gar nicht, dass die Verleihung des Deutschen Filmpreises tatsächlich jemand schaut. Da war zum einen die Sendezeit von 22.45 Uhr. Seit 2013 gab es keine Ausstrahlung der Verleihung mehr vor zehn Uhr – das hat mit schlechten Quoten zu tun, die so freilich auch keine Chance haben, je wieder zu steigen. Zum anderen wurden dann auch noch die Gewinner schon vor der Fernsehübertragung bekanntgegeben, jegliche Spannung war also dahin.
Man darf sich darüber wundern, zumal die Gala selbst am vergangenen Freitag so gar nicht den Anschein machte, als sei sie für den kleinen Kreis konzipiert. 1700 Gäste waren ins Berliner Palais am Funkturm geladen, viele davon hatten sich bei 32 Grad in einen Smoking gezwängt. Die Moderatorin Katrin Bauerfeind sang („Endlich wieder Filmpreis, Lola schmeißt ne Sause“), tanzte und scherzte („Deutscher Film? Ist das nicht sowas wie englische Feinkost oder polnisches Design?“), zur Begleitung des Lola-Orchesters vor großen Leinwänden mit Funken darauf, und so mancher sollte am Abend noch überspringen.
Welches Problem die Branche gerade umtreibt, liegt auf der Hand und es war auch an diesem Abend Dauerthema. Die Kinos sind in der Krise. „Es ist ja immer was. Streaming, Videospiele und dann auch noch ne Pandemie“ sagte Bauerfeind und erzählte von ihrem ersten Date, bei dem sie die schön schweißnasse Hand ihres Begleiters hielt und „Cool Runnings“ schaute, weil auf dem Dorf nichts anderes lief. Leidenschaftlich appellierte sie an das Publikum und die Zuschauer, dass Filme doch auf die große Leinwand gehörten, „mit diesem geilen Sound und dieser leisen Vorfreude, wenn langsam das Licht ausgeht“. Nur, den Menschen, die diese Preisverleihung trotz allen Umständen schauten, musste sie das natürlich nicht sagen.
60.000 Menschen sahen „Lieber Thomas“ im Kino
Den Film, der an diesem Abend klar dominierte, sahen in Deutschland gerade mal 60.000 Menschen im Kino. Neun Lolas gewann „Lieber Thomas“ von Andreas Kleinert, unter anderem für den besten Film, die beste Regie, das beste Drehbuch und die beste Kamera. Albrecht Schuch wurde für seine Verkörperung von Thomas Brasch zum besten Hauptdarsteller gewählt, Jella Haase bekam den Preis für die beste Nebenrolle als junge Katharina Thalbach, mit der Brasch 1976 nach West-Berlin aussiedelte. Andreas Dresens „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ gewann die silberne Film-Lola, Meltem Kaptan wurde als beste Hauptdarstellerin, Alexander Scheer als bester Nebendarsteller ausgezeichnet.
„Lieber Thomas“ ist ein großartiger Film, gezeichnet von einem erzählerischen Draufgängertum, wie man es in Deutschland selten erlebt. Und doch stellt sich unweigerlich die Frage nach der Konkurrenz und der Haltung der Filmakademie. Gibt es noch einen coronabedingten Qualitätsstau beim deutschen Film? Zeichnet man vielleicht lieber rein deutsche Filme aus als Koproduktionen? Dass das Lady-Di-Biopic „Spencer“ von Pablo Larraín als solche offiziell um den Deutschen Filmpreis konkurrieren darf, dann aber nur in zwei Kategorien nominiert wurde und nichts gewann, wirft zumindest Fragen auf.
Frustration klang auch in der Dankesrede von Till Berenbach an, der mit seiner Kölner Firma Zeitsprung „Lieber Thomas“ produziert hat. „Wir sind zwölf Jahre auf einer gefühlt ewigen Reise unterwegs gewesen und heute hat mich nach so vielen Jahren das Gefühl beschlichen, dass wir nur die Außendienststelle von Babelsberg sind. Das fand ich irgendwie komisch. Aber es liegt vielleicht daran, dass man für relevante, für große, für politische und wichtige Filme in diesem Land einfach nicht genug Geld zusammenbekommt. Wir haben den Film mit einem scheiß kleinen Budget gemacht und es tut mir leid, das einmal sagen zu müssen.“ Vielleicht weil die Kulturstaatsministerin nur ein paar Schritte entfernt stand, ergänzte er noch: „Liebe Frau Claudia Roth, ohne Sie hätten wir es allerdings überhaupt nicht geschafft.“
Detlev Bucks wirres Plädoyer
Detlev Buck, den Bauernfeind zu Beginn des Abends nicht untreffend als Modeberater von Rod Stewart neckte, kam in seiner Laudatio für die beste Regie ebenfalls auf die Filmbranche zu sprechen, verlor dabei zwar offenbar zwischendurch den Faden, machte aber am Ende einen Punkt, der im Publikum Anklang fand: „Eure Filme sind gestartet in einem Klima, das schlecht war. Jetzt wissen wir alle, wir können das Klima ändern, wenn wir wollen, auch das Kinoklima können wir wieder ändern, wenn wir wollen. Es ist eine sehr ernste Situation. Wenn ich die Stimmen der Kinobesitzer höre, sind die Zuschauer noch nicht wieder da. Und wenn man dann Geschichten hört von einem möglicherweise wahrscheinlichen Killervirus, der im Herbst kommt, dann werden sie auch nicht bleiben. Das ist nicht wissenschaftlich, das ist dramatisch, das ist melodramatisch. Wir wissen, Melodrama ist, wenn man seinem Schicksal nicht entweichen kann. Aber. Ich sage: Von der Politik sollten die Geschichten weggehen, wieder zurück ins Kino. Kino soll wieder die Geschichte schreiben, und dann stimmt die Sache wieder. Und dann könnten wir wieder ein Klima herstellen, wo alle sagen: Läuft doch, cool!“

Dann erzählte er noch von Cannes, mit seiner vermeintlich mediokren Filmauswahl, aber immerhin den Topgun-Jets über der Stadt, diese Bilder seien im Gedächtnis geblieben. Solche Events bräuchte man, um die Leute zu überzeugen, einen Abend im Kino zu verbringen, ansonsten werde man bald nur noch Content auszeichnen.
Exzentrische Einlagen dieser Art lockerten die fast dreistündige Veranstaltung immerhin auf, so auch von Daniel Donskoy, der in einem Mix aus Deutsch und Englisch den Song „Who has got the best image in town?“ schmetterte, um den Preis für die beste Kamera anzukündigen – eine Performance, die kaum in größerem Kontrast zum sympathisch grummeligen Preisträger Johann Feindt hätte stehen können.
Für den emotionalsten Moment des Abends sorgte ebenfalls ein Kameramann: Jürgen Jürges, der über 100 Filme gedreht hat, unter anderem für Fassbinder und Wim Wenders. Florian Gallenberger, der neue Co-Präsident der Deutschen Filmakademie neben Alexandra Maria Lara, gewann mit Jürges‘ Bildern einen Oscar für seinen Abschlussfilm. Seinem Ruf nach kein Mann der vielen Worte, scheute der Geehrte sie an diesem Abend nicht. Er sprach von seinem Mammutprojekt „Dau“ mit dem russischen Regisseur Ilya Khrzhanovsky, das zum Großteil in der Ukraine gedreht wurde, mit zahllosen Kollegen, die nun bedroht sind oder schlimmer. Er rief seine Kollegen dazu auf, durch ihre Arbeit die Menschen für die Probleme der Zeit zu sensibilisieren, für die Klimakatastrophe, aber auch dafür, dass globale Aufrüstung nicht die Lösung sein könne.
„Unter den Filmen, die dieses Jahr für die Lola nominiert waren, gibt es interessante Arbeiten, und das macht Hoffnung“, so Jürges. „Denn wir werden engagierte Menschen und relevante Filme brauchen, um das Kino wieder attraktiver zu machen und Zuschauer zurückzuholen.“ Dass der deutsche Film entscheidend zum Comeback der Kinos beitragen wird, darauf machte dieser Abend leider nur bedingt Hoffnung.
Einen Lichtblick gab es im vergangenen Jahr aber doch: Der Kinderfilm „Die Schule der magischen Tiere“ animierte 1,7 Millionen Menschen zum Kinobesuch, es war der fünfterfolgreichste Film des Jahres.