Die Serie „Fleishman Is in Trouble“: Wer hineinfällt, kommt nie wieder zurück

Was, wenn die Kompromisse, die zwei Menschen miteinander geschlossen haben, neu verhandelt werden müssen? Diese Serie ist das Psychogramm einer Ehe.

Frisch getrennt und völlig verloren: Jesse Eisenberg als Toby Fleishman.
Frisch getrennt und völlig verloren: Jesse Eisenberg als Toby Fleishman.Michael Parmelee/FX

Die Kamera fliegt, aber das Bild und New York und überhaupt die ganze Welt stehen Kopf. Oben ist unten und unten ist oben – wo gibt es denn noch Halt? Gleich also müssten hier die Menschen fallen und in den bodenlosen Himmel stürzen, verschwinden, als hätten sie niemals existiert. Schon auf dem Cover von „Fleishman Is in Trouble“, dem Debütroman der amerikanischen Journalistin Taffy Brodesser-Akner, waren die Häuser falsch herum abgebildet. Und so ist es auch in der ersten Szene der gleichnamigen Serie, die nun auf Disney+ zu sehen ist. Ein wiederkehrendes Stilmittel zum Zweck.

Eigentlich unverfilmbar, dachte Brodesser-Akner über ihr Buch. Was vielleicht mehr Koketterie war, denn so außergewöhnlich ist der Plot von „Fleishman Is in Trouble“ auf den ersten Blick nicht. Wie oft waren New York und ein summer in the city schon Setting, und wie viele Ehen sind bereits filmreif gescheitert, weil zwei Menschen das Verbindende vergessen und verlernen und das Trennende bald wie ein Schimmelpilz jede schöne Erinnerung überwuchert. Als Brodesser-Akner immer mehr Angebote bekam, änderte sie dann doch ihre Meinung und schrieb an den Drehbüchern mit. Acht Episoden sind es geworden, mehrere Regisseure und Regisseurinnen waren hier im Wechsel am Werk. Eine Serie wie ein freier Fall. Und am Anfang ist bereits das Ende angelegt. Unausweichlich.

Ein schwarzes Loch schiebt sich in den Mittelpunkt der Serie

Es fängt ja schon damit an, dass der Medizinstudent Toby Fleishman (Jesse Eisenberg) gar nicht auf eine Party gehen und diese schon wieder verlassen will, als er doch noch auf Rachel trifft (Claire Danes). Die angehende Theateragentin weiß da selbst noch nicht, wohin mit ihrer Gabe, Menschen überzeugen und führen zu können. Die beiden verlieben sich, erzählen sich von ihren Vorleben bei langen Spaziergängen im Central Park und unter der Bettdecke, als wären sie dort sicher vor allem, was noch kommen könnte. Die gesamte Kennenlerngeschichte, die ersten Beziehungsrisse, der unüberbrückbare Graben, der nach der Geburt der Tochter entsteht, der Streit um das Sorgerecht für beide Kinder später – immer wieder verknäulen sich die Erzählstränge, schichten sich Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft geschickt unter- und übereinander. Irgendwann ist das Bild komplett. Das Psychogramm einer Ehe, die mal eine Chance hatte, aber keine zweite mehr.

Doch „Fleishman Is in Trouble“ ist viel mehr als das. Hier geht es um ein plötzliches Aufwachen und Hochschrecken mit Anfang vierzig. Wenn die Fortysomethings merken, dass ihr Leben vielleicht mehr eine Lebenslüge war. Wenn Werte sich verschieben. Wenn die Kompromisse, die zwei Menschen geschlossen haben, neu verhandelt werden müssen: Welche Karriere ist wichtiger – deine oder meine? Ist Glück käuflich und eine Eigentumswohnung das, was beide wirklich wollen? Ist das überhaupt unser Geld oder nur noch deins? Wer hat Me-Time und wer kümmert sich um die Kinder, die nicht mehr schreien, weil sie Hunger haben, sondern die ein Handy verlangen? Im Grunde: An welcher Stelle bedeutet die Freiheit des einen die Unfreiheit des anderen?

Toby ist ja nicht nur der fürsorgliche Arzt und Vater, der nach der Scheidung dem Datingwahn verfällt und sich auf einmal an seine alten Freunde erinnert, die er so lange vernachlässigt hat. Und Rachel mehr als eine Karrieristin und abwesende Mutter, die einen so tiefen Schmerz in sich trägt, dass sie lieber allein sein und am liebsten immer nur schreien will. Mit jeder Episode bringt die Voice-over-Erzählerin mehr Grau ins Schwarzweiße, verfliegt der Zauber der langen Spaziergänge im Central Park, als Rachel und Toby sich die Kopfhörer teilen und Neil Diamond für sie singt: „You are the sun, I am the moon. You are the words, I am the tune“.

Dass letztlich ein schwarzes Loch in den Mittelpunkt der Serie rückt, ist natürlich kein Zufall. Denn nichts kann dessen Anziehungskraft widerstehen. Wer hineinfällt, kommt nie wieder zurück. Und jeder oder jede fällt für sich allein.

Fleishman Is in Trouble. Serie, 8 Folgen, Disney+