Wenn du nach Berlin kommst und ein krass anderer Mensch wirst: „Drifter“
Wie ist das, wenn man in Berlin ankommt? Holt die Stadt das Extreme aus uns hervor? „Drifter“ erzählt von einem jungen Mann, der vom Milchbubi zum SM-Raver wird.

Es gibt ja nur wenige Dinge, für die gebürtige Berliner ihre nicht hier geborenen Mitberliner beneiden müssten, aber eins ist eben doch dies: das Gefühl, in Berlin anzukommen, wenn man in die Stadt zieht. Denn das ist ein Abenteuer, wenn sich dieses Berlin-Fieber einstellt – und man dann ein, zwei Jahre braucht, um wieder auf Normaltemperatur runterzukühlen. Wie wenn man so richtig verliebt ist.
Moritz im Film „Drifter“ hat Pech in der Liebe und Glück mit Berlin: Eigentlich ist er, 22 Jahre jung, gerade erst in die Hauptstadt gezogen, um bei Jonas zu sein – was der nach dem Begrüßungssex auch noch feiert. Aber schon sehr bald hat Jonas dann doch keinen Bock mehr auf Bindung und Pärchensein: Der Titel deutet es schon an, Moritz driftet durch Berlin. Als Drifter ist er noch planloser als ein Flaneur. Es fehlt ihm auch der Ort zum Heimkehren.
Wer sich in Wedding gut auskennt, kann sehen, dass so einige Szenen aus „Drifter“ dort entstanden sind. Der Regisseur Hannes Hirsch vermeidet es in seinem Debüt-Langfilm aber, das naheliegende Postkarten-Berlin zu zeigen. Einen Fernsehturm bekommt man hier garantiert nicht zu sehen. Aber auch Szene-Orte wie das Berghain (wo man innen eh nicht, aber außen ja schon filmen könnte) bemüht „Drifter“ nicht. Quasi die genau entgegengesetzte Strategie zu dem, was die Netflix-Serie „Emily in Paris“ in Paris veranstaltet.
Das Entscheidende bei „Drifter“ sind die inneren Wandlungen, die Moritz auf seinen Wanderungen durch die Stadt erlebt. Eben noch spielt er, offenbar „aus gutem Hause“, Klarinette, begleitet von Stefan am Klavier; etwas später wird er mit weit aufgerissenen Augen (Drogen, ick hör dir trapsen) durch einen Club tanzen, als gäbe es kein Übermorgen. Clubszenen gibt es ja viele im Kino zu sehen, aber diese ist besonders. Auch besonders lang, besonders basslastig; und kurioserweise spritzt in diesem Club eine Dusche, was es ja in keinem Club der Stadt so wirklich gibt und doch den Spirit des Rauschs gut einfängt.
Noch später wird Moritz, der sich inzwischen die Haare raspelkurz rasiert hat, Stefan im Sadomaso-Kontext hart erniedrigen – weil der es so will. Holt Berlin das Extreme aus uns raus? Es könnte wie ein Klischee wirken, dass Moritz vom braven Bubi von nebenan in 79 Minuten Filmzeit zum selbstbewussten SM-Raver reift. Aber „Drifter“ gelingt es dank des vielseitigen Hauptdarstellers Lorenz Hochhuth und des episodisch angelegten Drehbuchs, diese Transformation glaubhaft in Szene zu setzen. Und man beginnt auch zu verstehen, dass er eigentlich kein anderer wird in Berlin, sondern er selbst: weniger spiegelglatte Projektionsfläche und dafür mehr Charakter. Ein wirklich guter Berlin-Film.
Drifter. Panorama, Regie: Hannes Hirsch, Deutschland
Vorführung: Donnerstag, 23.02., 22:00 Uhr, Zoo-Palast 2