Geplantes Biopic über Michael Jackson: Schwamm drüber?

War da nicht was? In Zusammenarbeit mit seinen Erben und mit seinem Neffen in der Hauptrolle soll ein Film über das Leben von Michael Jackson entstehen. Ein Kommentar.

Ein Zeichen an seine Fans nach einem gewonnen Gerichtsprozess: Michael Jackson 2005 in Santa Maria, Kalifornien. 
Ein Zeichen an seine Fans nach einem gewonnen Gerichtsprozess: Michael Jackson 2005 in Santa Maria, Kalifornien. Joshua Gates Weisberg/epa/dpa

Gegner einer vermeintlichen Cancel Culture können aufatmen. So rigoros, so mächtig kann diese nicht sein, wenn sogar Anschuldigungen von Kindesmissbrauch – die eine Sünde, auf die sich sonst alle einigen können – einen Helden nicht vom Sockel stoßen können.

Vor knapp vier Jahren sah es noch danach aus. Im März 2019 wurde bei HBO der Dokumentarfilm „Leaving Neverland“ veröffentlicht, sogar im deutschen Fernsehen lief er zur Primetime auf ProSieben. Der von dem britischen Regisseur Dan Reed inszenierte Zweiteiler legte den Zuschauern nahe, Michael Jackson habe sich über Jahre hinweg systematisch an vorpubertären Jungs vergangen, vor ihnen masturbiert, sie begrapscht und Schlimmeres. Anschließend soll er sie manipuliert, bestochen oder erpresst haben, um ihr Schweigen zu garantieren.

Im Zentrum der Doku standen zwei Männer, Wade Robson und James Safechuck. Nach seinen Aussagen im Film war Robson sieben Jahre alt, als der Sänger anfing, ihn sexuell zu missbrauchen, erst mit 14, als er in die Pubertät kam, ließ Jackson von ihm ab. Dieses Muster bestätigte James Safechuck, dessen Missbrauch begonnen haben soll, als er zehn war. Nach Jacksons Tod wiederholten beide Männer ihre Anschuldigungen mehrfach vor Gericht, stets ohne Erfolg. Zuletzt 2021 entschied der zuständige Richter, dass die angeklagten Unternehmen des Sängers zur Zeit des angeblichen Missbrauchs keine Beziehung zu Wade Robson gehabt hätten, die sie dazu verpflichtet hätte, den Jungen vor Jacksons Übergriffen zu schützen. Mit den Familien anderer mutmaßlicher Opfer hatte sich Jackson zu seinen Lebzeiten außergerichtlich zu millionenschweren Zahlungen geeinigt. Ein Schuldeingeständnis war damit nicht verbunden.

Im Zweifel für den Angeklagten?

Nun soll in diesem Jahr die Produktion eines Biopics über den Popstar beginnen. Ihn spielen wird, wie gerade bekannt wurde, sein Neffe Jaafar Jackson. Der Film entsteht in Zusammenarbeit mit der Erbengemeinschaft des 2009 verstorbenen Sängers, die sämtliche Missbrauchsvorwürfe seit jeher zurückweist. „Für mich gibt es keinen Künstler mit der Kraft, dem Charisma und der musikalischen Klasse von Michael Jackson“, sagte der Regisseur Antoine Fuqua, der den Film mit dem Arbeitstitel „Michael“ inszenieren wird, in Bezug auf das Projekt. Die Chance, dessen Geschichte zu erzählen, sei unwiderstehlich gewesen.

Laut dem Branchenmagazin Hollywood Reporter plant das Produktionsstudio Lionsgate, „alle Aspekte von Jacksons Leben“ im Film zu thematisieren. Dass es dabei viel Raum für Kritik generell, geschweige denn für die Anschuldigungen der mutmaßlichen Opfer geben wird, ist bei der Zusammenstellung der Beteiligten vor und hinter der Kamera kaum vorstellbar.

Am New Yorker Broadway läuft derweil schon sehr erfolgreich ein Musical über das Leben des sogenannten King of Pop. Als ein Reporter den Cast bei der Premiere nach den Missbrauchsvorwürfen fragte, wurde er des roten Teppichs verwiesen. In dem Stück selbst werden sie nicht erwähnt.

„Im Zweifel für den Angeklagten“, könnte man nun sagen, genügend zahlende Kunden tun das offensichtlich. Spätestens seit #MeToo sollte allerdings klar sein, dass juristische Grenzen gerade in solchen Fällen allzu schnell erreicht sind und „im Zweifel für den Zweifel“ bei der persönlichen Positionierung nicht selten die besonnenere Herangehensweise ist. Die auch posthume Huldigung des Popstars legt zwei traurige Vermutungen nahe. Erstens, dass große Bewunderung auch heute noch einen gewissen moralischen Freifahrtschein bedeuten kann. Und zweitens, dass Männer und Jungs, wenn es um sexuellen Missbrauch geht, nach wie vor weniger ernst genommen werden als Frauen und Mädchen. Dass dies so bleibt, dürfte das Biopic noch befördern.