Historikerstreit beim Dinnerdate: „You People“ bei Netflix
Der Netflix-Film mit Jonah Hill und Lauren London in den Hauptrollen ist ein Lehrstück in Sachen race relations, vorgetragen als charmante Liebeskomödie.

Für „You People“ gilt, was für viele nichtdeutsche Filme gilt – für diesen hier aber ganz besonders: Man sollte ihn sich auf gar keinen Fall auf Deutsch ansehen. Viel von dem spezifisch US-jüdischen und US-Schwarzen Humor – Gruppen, deren Lebenswelten hier in Form der Liebesgeschichte zwischen Ezra (Jonah Hill) und Amira (Lauren London) genüsslichst aufeinanderprallen – ist tief in jeweiligen Slangs der englischen Sprache verwurzelt. Und somit gehen viele der prägenden Nuancen dieses Films in der deutschen Übersetzung verloren – oder wirken teils schlicht weird. Etwa, wenn Ezras beste Freundin Mo (gespielt von der Stand-up-Komikerin Sam Jay) ihm rät, den Verlobungsring an Amira ein wenig „holocaustiger“ zu machen („I think you should holocaust it down, bro“), weil er ansonsten etwas zu klein wirke.
Aber von vorn. „You People“ hat auf den ersten Blick alles, was eine Liebeskomödie ausmacht: Das zufällige erste Treffen, bei dem Ezra seine zukünftige Geliebte mit seiner Uber-Fahrerin verwechselt, dafür Rassist genannt und fast aus dem Auto gejagt wird. Den grimmigen Schwiegervater Akbar (gespielt von Eddie Murphy), der den in seinen Augen unwürdigen Bräutigam Ezra nicht ausstehen kann. Und natürlich den Versuch Ezras und Amiras, ihre Liebe all jene Herausforderungen bewältigen zu lassen.
Liebeskulisse für das Verhältnis von Schwarzen und Juden
Je länger man den Film guckt, desto mehr versteht man jedoch: Die Liebesgeschichte ist hier eigentlich eher eine Art Kulisse und Metapher für eine tiefere Auseinandersetzung mit race relations zwischen jüdischen, weißen und Schwarzen Gruppen in den USA. Und den dabei mitschwingenden, nicht immer leicht zu beantwortenden Fragen nach Rassismus und Antisemitismus und deren Wechselspiel. Ein zweiter Strang ist Ezras Traum, seinen Tagesjob zu kündigen, um sich endlich dem Podcast zu widmen, den er mit Mo produziert – einer schwarzen Lesbe, in deren Schlagfertigkeit immer auch eine Prise Wahrheit steckt. Etwa, wenn sie Ezra erklärt, dass Schwarze und Weiße in den USA nie einfach „cool“ miteinander sein werden. Das Trauma und das daraus resultierende Misstrauen der Schwarzen den Weißen gegenüber sitze einfach zu tief.
Dann sind da die Kennlernszenen zwischen Amira und Ezra und deren Elternpaaren, die sich wie eine Aneinanderreihung von Cringe-Momenten anfühlen, in denen man laut aufkreischen möchte. In Amiras Fall erinnert das an die ein oder andere Szene aus Jordan Peeles „Get Out“: unbeholfene Objektivierung Schwarzer Menschen durch sich selbst als liberal verstehende Weiße. In ihren hilflosen Versuchen zu beweisen, wie aware sie sind, und sich von Rassisten (also, den anderen) abzugrenzen, machen sie alles meist noch schlimmer. Etwa Ezras Mutter (hervorragend gespielt von der Seinfeld-Ikone Julia Louis-Dreyfus), die beim ersten Treffen mit Amira betont, wie fucked up sie das Verhalten der Polizei Schwarzen gegenüber finde. Oder Ezras Vater, der Amira auf ihre Braids anspricht (No-Go), mit dem Hinweis, dass auch der Rapper Xzibit ja mal Braids hatte.
Amiras Vater Akbar wiederum, ein muslimischer Konvertit, macht Ezra das Leben ebenfalls nicht ganz leicht. Etwa wenn er mit dem HipHop-Fan Ezra im Auto den Jay-Z- und Kanye-Song „N***** in Paris“ hört und Ezra auffordert, ihm doch den Titel des Songs in Erinnerung zu rufen, er selbst komme nicht darauf. Akbar will natürlich nur testen, ob Ezra jetzt das N-Wort ausspricht, was dieser (als weißer Jude) gerade so, wenngleich etwas ungeschickt, umschifft.
Rührende Szenen, leicht belehrend
Dieser Film ist kein revolutionäres Stück Kino, aber doch witzig und teils auch rührend mit anzusehen. Das Ganze wirkt stellenweise belehrend, immerhin: Es geht um Grenzübertretungen zwischen den Zeilen, nicht um offensichtlichen Hass auf der Straße, in Redaktionen oder auf Polizeiwachen. Auf der anderen Seite ist es auch irgendwie schön, dass eine Mainstreamkomödie heute mit so einem feinfühligen Mindset daherkommen kann. In dieser Breitenwirkung hätte man sich das noch vor zehn Jahren wohl kaum vorstellen können.

In einer der Kernszenen des Films lernen sich die Eltern von Ezra und Amira erstmals live kennen. Das Gespräch an diesem Abend springt unter anderem zu der Frage nach der Vergleichbarkeit von Holocaust und Sklaverei. Und spiegelt damit, in Form eines kurzen Schlagabtauschs, eine Diskussion um vermeintliche Opferkonkurrenzen und historische Singularitäten, die das deutsche Feuilleton in den letzten Jahren unter dem Stichwort Zweiter Historikerstreit ausufernd erregte und beschäftigte. Wobei die moralische Entrüstung, im Film geäußert von Akbar, hier ironischerweise darin liegt, den Holocaust mit der Sklaverei zu vergleichen, zumal dies die Sklaverei schmälere – nicht umgekehrt, wie in der Historikerdebatte oftmals behauptet, den Holocaust.
In slapstickhafter Ungeschicklichkeit steckt Ezras Mutter daraufhin dann versehentlich Akbars wertvollen Kufi, seine muslimische Gebetsmütze, in Brand (ein Geschenk des einstigen Nation-of-Islam-Anführers und kruden Verschwörungstheoretikers Louis Farrakhan). Letztlich legt dieser Film frei, was jüdische und Schwarze Menschen in ihren historischen Traumata verbindet. Wie eng jenes Trauma mit dem Gefühlsleben verstrickt ist. Aber selbstverständlich auch, was sie – teils auch unüberbrückbar – voneinander trennt. Eine Empfehlung auch für den deutschen Kontext. Nur bitte erstmal auf Englisch.
You People. Spielfilm, 117 Minuten, Netflix