Berlinale-Eröffnungsfilm „She Came to Me“: Der Motor läuft mit Liebe

Ein Komponist wird von einer Schiffskapitänin abgeschleppt und plötzlich ändert sich alles. Die Berlinale beginnt mit Kribbeln im Bauch.

Peter Dinklage als Opernkomponist mit kreativer Blockade.
Peter Dinklage als Opernkomponist mit kreativer Blockade.Protagonist PIctures

Keine Filme schauen, ist auch keine Lösung. Den Rat von ihrem Psychologen, ein Jahr lang auf Romanzen zu verzichten, hat die Kapitänin Katrina (Marisa Tomei) zwar befolgt – und trotzdem nichts als Liebe im Kopf. Beruflich schleppt sie Schiffe, privat Männer ab, das Loslassen fällt ihr anschließend schwer. Steven (Peter Dinklage), ein Opernkomponist mit kreativer Blockade, ist davon völlig überrumpelt. Er ist ehelichen Beischlaf nach Terminkalender gewohnt, zwischen frisch gewaschenen Laken und symmetrisch ausgerichteten Nachttischlampen.

Der schicke New Yorker Brownstone, in dem er mit seiner Frau Patricia (Anne Hathaway) lebt, ist von ihrem Ordnungs- und Putzfimmel geprägt, den die Psychologin allerdings nicht als Leiden, sondern als die Erfüllung ihres Bedürfnisses nach Reinlichkeit, auch im spirituellen Sinne, betrachtet. Zu ihrer polnischen Haushälterin Magdalena (Joanna Kulig) baut sie deshalb schnell ein besonderes Verhältnis auf. Beide von ihnen bekamen jung ein Kind, doch während Patricia ihr Medizinstudium trotzdem weiterführte, brach Magdalena ihre Ausbildung ab. Als die Mütter durch Zufall herausfinden, dass ihre hochbegabten Kinder ein Paar sind, krachen die Welten, die beim gemeinsamen Putzen noch vereinbar schienen, gewaltvoll aufeinander.

Im „Rausch der Geschichte“

Nach „Pippa Lee“ (2009) und „Maggies Plan“ (2016), die ebenfalls auf der Berlinale liefen, legt die Regisseurin Rebecca Miller mit dem diesjährigen Eröffnungsfilm „She Came to Me“ erneut einen Film vor, der von Frauenfiguren getrieben ist, die ihr Leben ändern wollen. Die Auslöser dafür können Angst, Enttäuschung oder Verzweiflung sein, doch der Motor läuft mit Liebe. Für die Kinder, für Gott und immer auch sich selbst, im festen Glauben, dass da noch etwas Neues, etwas Wichtiges wartet oder zumindest warten könnte. Es ist das Gegenteil des „Rauschs der Geschichte“, von dem Magdalenas Partner (Brian d’Arcy James) schwärmt. Den spürt der hauptberufliche Gerichtsstenograph, wenn er seinem liebsten Hobby frönt und mit Gleichgesinnten den Amerikanischen Bürgerkrieg nachspielt. Als Colonel schreitet er dann durchs Kriegslager, lässt sich von fleißigen Frauen verpflegen und weist seine fiktiven Untergebenen an, ihre Zelte aufzuräumen und die Gewehre zu reinigen. Das Gefühl „tatsächlich in der Zeit zurückzureisen“ ist der Höhepunkt seines Lebens. Dass er dort auch hingehört, daran lässt „She Came to Me“ keinen Zweifel.

In Millers Film kann nur gewinnen, wer mit offenem Visier nach vorne blickt, allein deshalb eignet er sich als Einstimmung auf das kommende Festival. Wer Hoffnung behält und Liebe zulässt, wird hier belohnt, auch mit Inspiration. Dass daraus dann manchmal Kunst entsteht, die kaum auszuhalten ist, so wie Stephens Opern nach der weggeküssten Blockade, gehört dazu – am Ende wird es trotzdem Menschen geben, die darüber Tränen der Rührung vergießen. Weil sie etwas Essenzielles darin wiedererkennen, das sie mit anderen vereint, über die Grenzen von Sehgewohnheiten hinweg. Genau dafür besucht man ein Filmfestival.

Polarisieren wird „She Came to Me“ das Berlinale-Publikum sicher nicht. Der Film ist unverfängliches amerikanisches Indie-Kino, herausragend durch seinen feinen Blick für gesellschaftliche Zwischentöne, die Miller im Stakkato zu einer humoristischen Ode an die Zuversicht arrangiert. Anne Hathaway und Marisa Tomei überzeugen als Gegenpole, die den überforderten Komponisten mal anziehen und mal abstoßen. Peter Dinklage spielt ihn mit einer derart aufrichtigen Hilflosigkeit, dass man ihn im Wechsel in den Arm nehmen und ohrfeigen möchte.

Das neurotische Gebaren der Erwachsenen betrachtet die jüngere Generation mit der gebotenen Distanz. Die Jugendlichen interessieren sich für Wissenschaft und Umwelt, arbeiten schon in der Schule an innovativen Konzepten für erneuerbare Energien. Sie sprechen über Sex, bevor sie ihn haben, wissen, dass ihre Chancen als Paar statistisch gesehen auf lange Sicht nicht gut stehen und denken trotzdem nicht daran, voneinander zu lassen. 

Um die Vergangenheit zu wissen, ohne sich davon die Zukunft verderben zu lassen, darauf können sich hier am Ende alle einigen. 

She Came to Me. Berlinale Special Gala, R: Rebecca Miller, USA

Vorführungen: Freitag, 17. Februar, 14.30 Uhr und 17.30 Uhr, Verti Music Hall