Kinofilm „Men“: Alle Männer sind Monster

In wunderschönen und verstörenden Bildern inszeniert Alex Garland den Horror der toxischen Männlichkeit – und zeigt den einzigen Ausweg auf.

Rory Kinnear spielt alle furchterregenden Männer in „Men“.
Rory Kinnear spielt alle furchterregenden Männer in „Men“.Kevin Baker/A24

„Wenn du mich verlässt, dann werde ich mich umbringen, damit du auf ewig mit der Schuld leben musst.“ Diesen Satz muss sich Harper (Jessie Buckley) im Streit von ihrem Ehemann James (Paapa Essiedu) an den Kopf werfen lassen. Einen Faustschlag ins Gesicht der Frau später wird sich der Mann in den Tod stürzen: In morbid-schöner Zeitlupe schwebt der Körper am Fenster vorbei, den Blick hinein in das Zimmer gerichtet, wo die fassungslos aufschreiende Frau steht. Mit diesem Bild beginnt „Men“, der neue Film des britischen Regisseurs und Autors Alex Garland.

Nach dem traumatischen Erlebnis packt Harper die Koffer, um in einem herrschaftlichen Haus auf dem Land die Dämonen zu vertreiben. Ein Urlaub soll den notwendigen Abstand bringen, doch auch in der Idylle wartet bereits die toxische Männlichkeit – in Gestalt des schrägen Hausverwalters Geoffrey (Rory Kinnear), dessen verklemmt-freundliche Art ziemlich bedrohlich daherkommt.

Ob sie denn allein, so ganz ohne Mann, verreisen würde, fragt er. Dass eine Frau auch ohne männliche Begleitung auszukommen vermag, scheint mit seinem Weltbild nicht vereinbar zu sein. Der unterschwellige Grusel weicht schon bald veritablem Terror. Nicht nur, dass Harper nach einem Waldspaziergang von einem unheimlichen nackten Mann verfolgt wird. Alsbald versucht sich eine ganze Männerhorde Zutritt zum Haus zu verschaffen. Ein blutiger Kampf ums Überleben beginnt.

Der Mann als todbringender Körperwandler

Doch „Men“ ist kein geradliniger Horrorfilm – eher eine strukturalistische Echokammer, komponiert aus Elementen des Körper- und Folkhorrors, der es gelingt, toxische Männlichkeit in wahrlich beängstigende, blutig-mutierende Bilder zu übersetzen. Garlands formal-ästhetischer Kniff dabei: Alle Männerfiguren, mit der Ausnahme von Harpers Ehemann James, werden von Rory Kinnear verkörpert. Er leiht diesem männlichen Ensemble aus verkörperten Klischees sein Gesicht, seine Stimme, stellt seine ungeheure Wandlungsfähigkeit in den Dienst einer intendierten Künstlichkeit. Die immergleichen Gesichter evozieren eine gespenstische Ausweglosigkeit, überall lauert die nächste Variante des Gleichen. Alle Individuen sind lediglich Ableitungen und Variationen einer bestimmten Vorstellung von Männlichkeit: Der Mann ist in „Men“ ein todbringender Körperwandler, ähnlich wie das Ding in John Carpenters Klassiker „The Thing“ (1982), dessen Körperhorrorexzesse im blutigen Finale in einer wahnwitzigen Geburtenmutation münden.

Besonders bemerkenswert an Garlands neuestem Film ist sein Ausloten der Grenze zur Lächerlichkeit: Wie sich diese Männer aufplustern, sich verhärten, nur um dann wieder aus einer jammernden Opferrolle heraus anzugreifen – all das entbehrt nicht einer gewissen Komik. Und es ist genau dieses Umschlagmoment, an dem der tiefgreifende Horror von „Men“ entsteht. Trotz oder gerade aufgrund dieser Lächerlichkeit sind diese Männerbilder, in denen das Weibliche lediglich als Verfügungsmasse akzeptiert wird, wirksam und verflucht gefährlich. Sie schreiben sich kulturell weiter, werden institutionell vererbt, zum Beispiel durch die Kirche, und den Kindern von klein auf anerzogen.

Der Weg ist noch weit

„Men“ ist ein herausragender Film, dem es gelingt, einen Diskurs über toxische Männlichkeit in traumwandlerisch-schöne und gleichzeitig verstörende Bilder zu übersetzen. Dabei benutzt der Regisseur auch weniger subtile Figurationen, weil toxische Männlichkeit nun eben oft auch nicht besonders clever ist. Die Bildwelt, die in diesem Film durchschritten wird, ist jedoch von einer ungemein poetischen Komplexität, die Spuren durch die gesamte Geistesgeschichte legt: Da taucht zum Beispiel der Grüne Mann als Symbol für die belebte Natur auf, während die unvermittelte Aufnahme eines toten, verwesenden Rehs, das am Waldboden liegt, möglicherweise auf den ambivalenten Mythos der Iphigenie verweist.

Es gibt keine Twists und auch keine Nebenstränge in diesem Horrorfilm. Garland zwingt die Zuschauer, in die Tiefe eines wirkmächtigen Diskurses hinabzusteigen. Der Film ist reine Konzentration auf sein Thema, dem er einen filmischen Raum eröffnet. Er bietet erschütternde Bilder, die deutlich machen, wie weit der Weg noch ist bis zum Ende der brutalen Maskulinität. Dabei – und so lässt sich „Men“ verstehen – kommt es vor allem auf die Männer selbst an, die allzu häufig der Arbeit des Feminismus lediglich in passiver Distanz beiwohnen.

Wertung: 4 von 5

Men, Spielfilm, 100 Minuten, ab 21. Juli im Kino