Oscars: „Im Westen nichts Neues“ ist einer der besten Filme aller Zeiten

Das Drama wird ausgerechnet in Deutschland stark kritisiert. Dabei zeigt es in einer unglaublich realistischen Weise, was Krieg bedeutet. Blutiger Horror! Ein Kommentar. 

Eine Szene des Kriegsdramas „Im Westen nichts Neues “ (2022) von Edward Berger
Eine Szene des Kriegsdramas „Im Westen nichts Neues “ (2022) von Edward BergerEverett Collection/imago

Dies ist die Antwort auf den Text „‚Im Westen nichts Neues‘ ist einer der schlechtesten Filme aller Zeiten“ von Jesko zu Dohna. Senden Sie Ihr Feedback zum deutschen Oscargewinner an: briefe@berliner-zeitung.de.

In der Nacht von Sonntag auf Montag räumte „Im Westen nichts Neues“ von Edward Berger vier Oscars ab. Die Filmadaptation des Bestseller-Romans von Erich Maria Remarque wurde bei den 95. Academy Awards im Dolby Theatre in Hollywood als bester internationaler Film, für die beste Kamera, für die beste Filmmusik und das beste Szenenbild ausgezeichnet.

Nach den ersten Filmvorführungen im Jahr 2022 gab es bereits heftige Kritik, nach dem internationalen Erfolg verschärfte sich die Polemik gegen das Kriegsdrama noch. Einerseits erkennen die Kritiker den unbestrittenen Realismus des Films an, der den Zuschauer in wenigen Sekunden in ein glaubwürdiges Kriegsszenario versetzt. Andererseits heißt es, Bergers Darstellung des Ersten Weltkriegs sei historisch falsch und von Remarques Meisterwerk Lichtjahre entfernt. Aber ist es wirklich so? Nein!

Das Thema Krieg ist in Deutschland aus naheliegenden Gründen kein leichtes. Deswegen kamen die meisten Kritiken an dem Drama von deutscher Seite, wo auch der internationale Erfolg der Adaptation nur mit einem gewissen Abstand gutgeheißen wurde. „Wir sind alle aufgewachsen mit dem Erbe unserer schrecklichen Vergangenheit“, sagte Edward Berger der Berliner Zeitung. „Ich persönlich empfinde deshalb auch eine Schuld, Verantwortung, Scham und Trauer. Das tragen wir auf unseren Schultern und in unseren Körpern.“

Endlich kein amerikanischer Hollywood-Kriegsfilm

Diese Trauer vermittelt der Regisseur in seinem Werk, das sogar als revolutionär bezeichnet werden kann – im Gegensatz zu vielen Kriegsfilmen der vergangenen Jahre. Damit sind Filme wie „Black Hawk Down“ (2001) von Ridley Scott bis zu Clint Eastwoods „American Sniper“ (2014) gemeint, Filme, in denen „das Gute“ ganz schlicht gegen „das Böse“ kämpft. Die erste deutsche Verfilmung von „Im Westen nichts Neues“ kennt jedoch weder Gutes noch Böses. Es wird eine Welt geschildert, wo es für Emotionen keine Zeit gibt. Paul Bäumer ist mehr ein Antiheld als ein Held, zu dem der Zuschauer im Laufe des Films eine gewisse Bindung aufbaut.

Kanonenfutter: der Zyklus des Krieges

Berger eröffnet den Film mit einem starken Kontrast zwischen Mensch und Tier, in einem Szenario, das eine vom Krieg zerstörte Natur zeigt. Man sieht eine stille Morgendämmerung hinter malerischen Bergen. Die majestätischen Wälder zeigen sich unbeeindruckt von dem tobenden Wind. Eine Fuchsfamilie schleicht behutsam durch die Landschaft. Und schnell war es das auch mit den friedlichen Schwingungen. Ein junger Soldat namens Heinrich kommt auf dem Schlachtfeld tragisch ums Leben. Sein Körper landet in einem Massengrab, zuvor werden ihm Uniform und Stiefel ausgezogen. Blut klebt noch am hellgrünen Stoff, der von Schneiderinnen notdürftig geflickt wird.

Ein anderer Soldat soll die Kleider des Verstorbenen tragen: Paul Bäumer. Hiermit will der Regisseur das zyklische Wesen des Krieges darstellen, der junge Menschen regelmäßig zu Kanonenfutter macht. Dabei stehen die Kriegsbefürworter stets hinter den Kulissen, riskieren ihr Leben nicht und essen feine Gerichte, während sie unschuldige junge Menschen zum Tode verurteilen. Dazu erfindet Berger den Charakter von General Friedrich, gespielt von Devid Striesow, der bis zum Ende seine Männer opfert, während er selbst gutes Fleisch isst und Rotwein in einem besetzten französischen Schloss trinkt, das ihm und seinem Stab als Hauptquartier dient.

Man kann in den hellblauen Augen von Paul Bäumer die Angst sehen, die ein junger Mann auf dem Schlachtfeld spürt. Dabei hatte er zuvor sogar über sein Alter gelogen, um mit seinen Freunden in den Krieg zu ziehen. Diese Kriegsbegeisterung wird von Berger mit einer patriotischen Rede von Pauls Lehrer am Anfang dargestellt, um die Indoktrinierung zu zeigen, der die Jugendlichen ausgesetzt waren.

Die Realität setzt der Kriegsbegeisterung bald ein Ende

Dabei wissen die Jungs nichts vom Krieg, als sie bei ihrem Dienst für das deutsche Kaiserreich im Grabenkrieg an der Westfront eingesetzt werden. Gesang, Freude und Lächeln werden in einem Wimpernschlag zu Explosionen, Trümmern und Blut. Zugleich erfolgen die Friedensverhandlungen, wo der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger (gespielt von Daniel Brühl) als Charakter, der den Konflikt ausräumen möchte, hervorgehoben wird. 72 Stunden hat Erzberger Zeit, um ein Abkommen mit dem französischen Marschall Ferdinand Foch zu erreichen. Der Waffenstillstand tritt letzten Endes am 11. November 1918 in Kraft, jedoch will General Friedrich den Krieg mit einer siegreichen Schlacht beenden und veranlasst einen letzten nutzlosen Angriff, der für die meisten Soldaten auch das letzte Ereignis ihres Lebens ist.

Besonders bewegend ist auch die Szene, in der Paul Bäumer bei einem Nahkampf in einem Grab sein Leben mit einem Messer verteidigt. Mehrmals sticht er in die Brust des Feindes, bevor er dessen Blick bemerkt: Er ist genauso angsterfüllt wie der seinige. Erschöpft fällt er neben ihm auf den Boden und versucht seine Tat irgendwie rückgängig zu machen, aber es ist zu spät. „Im Westen nichts Neues“ ist unfassbar realistisch und versetzt den Zuschauer durch visuelle Effekte, Musik und Geräusche direkt in den Krieg. Während Gewalt und Brutalität auch in Europa wieder zum Vorschein kommen, zeigt das Drama eine Vergangenheit, die unfassbar aktuell ist. Krieg wird hier endlich nicht als Videospiel dargestellt, sondern so, wie er eigentlich ist: als blutiger Horror!

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