Nicht verpassen: Berliner Arbeiterklasse und Wiener Schmuserei im Arsenal Kino

„Zuflucht“ und „Zwei Herzen im ¾ Takt“ entstanden, als Stumm- und Tonfilme nebeneinander existierten. Beide zeigen die Vorzüge ihrer jeweiligen Disziplin.

Szene aus „Zwei Herzen im ¾ Takt“
Szene aus „Zwei Herzen im ¾ Takt“Deutschen Kinemathek

Charlie Chaplin schaute 1929 mit Schrecken auf die Entwicklung des Kinos: „Die Tonfilme verderben die älteste Kunst der Welt – die Kunst der Pantomime. Sie ruinieren die Schönheit der Stille.“ Er gab der neuen Technologie nur ein paar Jahre. Bekannterweise konnte er den Triumph der „Talkies“ – wie Sprechfilme damals genannt wurden – nicht verhindern, obwohl er trotzig noch bis 1936 an der sprachlosen Bildkunst festhielt.

Seine Skepsis schien sich zunächst zu bestätigen. Kaum bot sich die Möglichkeit, Töne über die Bilder zu legen, verloren letztere auch schon an Gewicht. Statt das Publikum visuell in eine Geschichte hineinzuführen, wurde nun plötzlich alles über Dialoge erklärt. Und unausgesetzt dudelte dazu Musik. Die von Chaplin prophezeite Rückentwicklung der Bildsprache bestätigt sich auch anhand von zwei Beispielen aus der deutschen Filmgeschichte.

Ein desillusionierter Kommunist kehrt nach Berlin zurück

Der Filmpionier Carl Froelich (1875–1953) drehte 1928 mit „Zuflucht“ einen verblüffend wirklichkeitsnahen Stummfilm aus dem pulsierenden Berlin zwischen zwei Kriegen. Nicht dem Glamour von Friedrichstraße oder Kurfürstendamm galt sein Interesse, sondern den „Milieus“ der überbelegten Proletarierwohnungen, der tristen Arbeitswelten und der billigen Zufluchtsorte in Kneipen und Laubenkolonien. Gedreht wurde an Originalschauplätzen. Auch das Sujet war ungewöhnlich. Als der desillusionierte Kommunist Martin nach acht Jahren aus der Sowjetunion nach Deutschland zurückkehrt, schlägt ihm Kälte entgegen. Nur die schwer arbeitende Marktfrau Hanne nimmt sich seiner an. Die beiden werden ein Paar – ohne dass ein Happy End in Sicht wäre.

Da „Zuflucht“ weder zu den Klassikern des proletarischen Kinos gehört (Klassenkampf findet nicht statt), noch zu denen einer expliziten Moderne (wie die Filme von Lang oder Murnau), fiel das Werk lange zwischen die Raster der Geschichtsschreibung. Jetzt läuft es in einer von der Pianistin Eunice Martin eingerichteten Reihe von Filmen mit Stummfilm-Schauspielerinnen. In der Rolle der Hanne ist keine geringere als die einst umjubelte Filmdiva Henny Porten (1890-1960) zu sehen, die den Film auch als Produzentin stemmte.

Setzt man dieser Leistung dann „Zwei Herzen im ¾ Takt“ (1930) von Géza von Bolváry entgegen, so lässt sich Chaplin einerseits sofort zustimmen. Statt Realismus waltet hier blanker, ausschließlich im Studio inszenierter Eskapismus. Weinselige Walzerwellen fluten durch ein Phantasie-Wien – ganz so, als hätte es Krieg, Hunger und Revolution nie gegeben. Es wird gesungen, getanzt und geschmust. Und kein Schweigen zwischen den Bildern. Andererseits sollte mit der frühen Tonfilmoperette nicht allzu hart ins Gericht gegangen werden. Die akustischen Aufnahme- und Wiedergabeverfahren stolperten noch in Kinderschuhen: Mischung oder Nachbearbeitung gab es faktisch keine. Auch hier wurde also einiges gewagt, wenn auch primär in technischer Hinsicht. Die Dialoge haben Schmiss, sogar Esprit. Und wer etwas über das wirkliche Wien jener Jahre erfahren will, der ist bei Joseph Roth ohnehin besser aufgehoben.

„Zwei Herzen im ¾ Takt“ am 27. Juni um 19 Uhr, „Zuflucht“ am 28. Juni um 20 Uhr, beide Filme laufen im Arsenal.