Neue Star-Wars-Serie „Andor“: Klassenkampf im Weltall

Disney will ernste Töne anschlagen, kommt dabei aber aus alten Erzählmustern nicht heraus. „Andor“ hat trotzdem Potenzial!

Seit seiner Kindheit führt Cassian Andor (Diego Luna) ein Leben auf der Flucht.
Seit seiner Kindheit führt Cassian Andor (Diego Luna) ein Leben auf der Flucht.Lucasfilm

Regen in der Nacht, dunkle Gassen in einem Armenviertel, Neonlichter. Ein namenloser Fremder, korrupte Polizisten an der Bar eines Bordells. Die neuste Star-Wars-Serie von Disney kommt in ihren ersten Szenen als klassische Hardboiled-Detective-Geschichte daher. Jedi-Ritter, monströse Weltraumgeschöpfe und Lichtschwerter sind erstmal nirgendwo zu sehen. Mit „Andor“ verlassen die Macher um Autor und Showrunner Tony Gilroy (u.a. Autor der Bourne-Filme) die ausgetretenen Pfade der epischen Science-Fiction-Blockbuster, für die Star Wars bisher stand, und setzen stattdessen auf gleichermaßen bekannte Genre-Klischees in der Tradition von Raymond Chandler oder Dashiell Hammett.

Die Serie um den titelgebenden Helden Cassian Andor (Diego Luna) beginnt ruhig und rätselhaft. Durch spärlich ausgeleuchtete Straßen folgt die Kamera dem Protagonisten in ein Bordell, wo er nach seiner vermissten Schwester fragt und mit zwei betrunkenen Freiern aneinandergerät. Die beiden entpuppen sich als Mitglieder der Corporate Police, der Betriebspolizei, die den gesamten Industrieplaneten im Auftrag des riesigen Unternehmens überwacht, das ihn besitzt. Anstatt für Ordnung zu sorgen, kümmern sich die beiden aber lieber um das Eintreiben illegaler Nebeneinkünfte und lassen sich von Barkeeper und Prostituierten bespaßen.

Star Wars: Der Kampf um die Würde

Am Ende dieser Ouvertüre steht ein Doppelmord. Andor muss fliehen, vorher aber noch eine letzte Ladung Diebesgut zum Hehler bringen. Die Geschichte dieser Flucht, so erfahren die Zuschauer in eingestreuten Rückblenden, ist nur die Fortsetzung der Flucht, auf der sich Andor schon seit seiner Kindheit befindet: Als Angehöriger einer unterworfenen Bevölkerungsgruppe auf einem ausgebeuteten und schlussendlich zerstörten Minenplaneten geriet er schon früh mit der Macht des interglobalen Zentrums aneinander, das damals noch Republik hieß.

Im Kampf zwischen Gut und Böse ist es dieser Hinweis, der die Sonderstellung der Serie in der langen Tradition des Kriegs der Sterne herausstreicht. „Andor“ mutet vordergründig wie eine weitere Episode im Streit zwischen Jedi und Sith, Republik und Imperium an. Doch gleichzeitig ist die Geschichte ein Drama über Ungleichheit, über das Verhältnis zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten, Kolonisatoren und Kolonisierten, Kapital und Proletariat. Nicht die Staatsform allerdings interessiert die Figuren in den Werkstätten, den Fabriken und auf den Müllhalden von Ferrix, dem firmeneigenen Planeten, der Schauplatz der ersten Minuten der Serie ist, sondern die Bewahrung des letzten Rests ihrer Würde und die Verteidigung gegen die gröbsten Übergriffe der Macht.

So ist die intensivste Szene der ersten Episoden auch die, in der die Arbeiterbevölkerung der Fabrikstadt so subversiv wie kollektiv Stimmung gegen die hochgerüstete Polizei macht, um einen der ihren zu schützen. Ob diese Klassenperspektive überlebensfähig ist in einer Disney-Welt, in der einzelne Überhelden bisher die Geschicke der namenlosen Milliarden verhandelt haben? In den ersten Episoden zeichnen die Macher aber ein durchaus überzeugendes Bild einer Gesellschaft, in der ferne Herrscher nach ökonomischen Gesetzen der Mehrheit der Menschen die Fratze der Macht vorhalten, und deren systemische Gewalt den Helden Cassian Andor erst möglich macht.

Star Wars: Die edlen Wilden von Kenari

Diego Luna, der Andor schon in „Rogue One: A Star War Story“ (2016) verkörperte, dem ersten Star-Wars-Film, der nicht Teil der klassischen Saga um die Skywalkers war, gibt in diesem Prequel die jüngere Version des späteren Rebellenanführers. Gerade erst hat er gelernt, als Dieb auf eigenen Beinen zu stehen, angetrieben von einem Hass auf das Imperium, der sich schließlich zu anarchistischer Tollkühnheit auswächst. Wirkungsvoll ergänzt wird diese biografische Skizze durch die Szenen auf Kenari, dem Heimatplaneten Andors, die als Rückblenden die Geschichte der Hauptfigur als Waisenkind ausleuchten. Zwar sind die mit einfachsten Mitteln im Urwald lebenden Einwohner, unter denen der kleine Cassian aufwächst, offensichtlich als die edlen Wilden aus den Kolonialträumen der letzten Jahrhunderte konzipiert, aber zu verstehen sind sie nicht: Alle Dialoge zwischen ihnen finden in einer fiktiven, nicht untertitelten, also unverständlichen Kunstsprache statt, die die Zuschauer in ihrer Position als eindringliche Voyeure belässt. Ein interessanter Kniff, der trotz der abgegriffenen Stilisierung im Bild auf die aktuelle Debatte um koloniale Aneignung und postkoloniales Erbe hinweist. Die Untertanen haben eine eigene Stimme, und die Bedeutung ihrer Worte bestimmen sie allein. 

Der Verzicht auf explizite Bilder von Gewalt oder Sexualität gehört zum Markenkern von Disney und hat sicher auch mit der angestrebten Jugendfreigabe zu tun, wirkt hier aber angesichts der thematischen Härte besonders fehlgeleitet. Ein ähnliches Ungleichgewicht herrscht auch im erzählerischen Ton, der immer wieder zwischen Sozialdrama und leichter Komödie hin und her wechselt. So bleibt „Andor“ nach den ersten Episoden weiter rätselhaft. Wird hier doch wieder nur am nächsten Popcorn-Epos gebastelt, oder öffnet sich der Star-Wars-Kosmos nach „Rogue One“ und Ansätzen in „The Mandalorian“ endgültig einer reiferen Art des Erzählens? Nach den ersten drei Episoden, die gleichzeitig veröffentlicht wurden, ist noch nichts entschieden.

Wertung: 3 von 5 Punkten

„Andor“, Serie, zwölf Folgen, Disney+