Amazons Reeperbahn-Serie „Luden“: Der nette Zuhälter von nebenan

Klaus Barkowsky, der in 80er-Jahren frischen Wind nach St. Pauli brachte, ist bis heute eine Kultfigur. Doch der Schein des „schönen Klaus“ trog.

Urlaub von der Reeperbahn: Klaus (Aaron Hilmer) und sein Lieblingsmädchen (Lara Feith), das er „Zitrone“ nennt, im Ludenparadies Gran Canaria
Urlaub von der Reeperbahn: Klaus (Aaron Hilmer) und sein Lieblingsmädchen (Lara Feith), das er „Zitrone“ nennt, im Ludenparadies Gran CanariaPrime Video

„Wenn du das freiwillig machst – wieso hast du dann einen Luden?“, fragt der Grünschnabel (Aaron Hilmer), der gerade von ebendiesem Zuhälter ordentlich verdroschen wurde. „Wenn du als Frau im Milieu arbeiten willst, brauchst du einen Mann. So, wie die soliden Frauen einen Chef brauchen“, antwortet die Hure, die seine Mutter sein könnte. Mit Herzchen in den Augen lässt er sich von ihr erst verarzten, dann verführen, erzählt ihr von seinen Träumen: „Feiern, vögeln und Bilder ausstellen. Wie im Studio 54.“ Jutta (Jeanette Hein) hört geduldig zu, die Rechnung kommt später.

Es gab ihn wirklich, diesen einstigen Grünschnabel, beziehungsweise es gibt ihn noch, auch wenn das Hamburger Abendblatt ihn 1986 schon mal als erschossen meldete. Klaus Barkowsky, genannt „der schöne Klaus“, gehörte zu den Mitbegründern und wichtigsten Figuren der sogenannten Nutella-Bande, deren Mitglieder ab den späten 1970er-Jahren ein knappes Jahrzehnt lang zu den größten Playern im Rotlichtmilieu von St. Pauli gehörten.

Die Zeit, bevor auf der Reeperbahn geschossen wurde

Die Gefahr des Abkultens ist bei dem diesem Thema groß. Ach, wie witzig waren doch Sprüche, ach wie lässig die Zeit, bevor die Hells Angels und die Drogen im großen Stil kamen, bevor auf der Reeperbahn geschossen wurde. In Teilen geben sich die Serienmacher der Versuchung hin, zeigen die Euphorie und auch den Glamour, den die Nutella-Bande zu Beginn ihrer Karriere auf dem düsteren Kiez verbreitete. Im Gegensatz zu dem bis dahin vorherrschenden Kartell namens GMBH (benannt nach ihren Gründungsmitgliedern Gerd, Michael, Walter und Harry) legten die Jungluden mehr Wert aufs Ambiente in den Laufhäusern, kleideten sich extravaganter und gingen, so ist es übermittelt, freundlicher mit den Prostituierten um. Spätestens aber, als er seine erste Freundin, die er längst zur Hure gemacht hat, für einen Monat auf eine Ölplattform schickt, wo 150 Männer auf sie warten, ist auch „der schöne Klaus“ entzaubert. Dass er ihr zum Abschied noch einen Heiratsantrag macht, markiert den vorzeitigen Höhepunkt seiner perfiden Masche, Frauen mit vermeintlichen Liebesbeweisen gefügig zu machen. Klaus war schon ein Loverboy, als es den Begriff noch nicht gab.

Ihm zur Seite stehen zwei Jugendfreunde: Bernd (Noah Tinwa), der für die Finanzen zuständig ist und sich im Geheimen lieber als Frau bewegt, und Andy (Henning Flüsloh), ein Boxer, dem seine Aggressionen im Profisport Probleme bereiten, während sie ihm im Milieu zugutekommen. Es ist ein Trio von Außenseitern, aus Familien, in denen die Erwachsenen abgehauen sind, sich zu Tode gesoffen oder die Kinder missbraucht haben. Die wichtigste Verbündete von Klaus bleibt allerdings Jutta. Sie weiß seinen Größenwahn noch am ehesten in geordnete Bahnen zu lenken, klatscht aber auch, wenn er buchstäblich auf dem hohen Ross durch die Party reitet. Jeanette Hein spielt sie in allen Stadien des Elends mit größter Anmut – generell wird in dieser Serie nie mit Sensationslust auf Leid geblickt, das zum Alltag, insbesondere dem der Frauen, gehörte.

Huren, die zurückschlagen

Jutta ist es auch, die zwischendurch als Erzählerin aus dem Off fungiert: Ein Kniff, den man sich hätte sparen können, weil die Texte mit ihrem unterschwelligen Pathos der gelungenen Inszenierung nichts hinzufügen, eher im Gegenteil. Doch das Stilmittel unterstreicht das Bemühen der Filmemacher, auch weibliche Stimmen der Zeit hörbar zu machen, und es sind jene, die am Ende nachhallen. Juttas, die Klaus benutzt, um sich an all den Männern zu rächen, die sie in der Vergangenheit gedemütigt haben; Birgits, die eine Affäre mit Andy hat und nicht wegsehen will, als die Männer in der Aids-Epidemie den Profit über die Gesundheit der Huren stellen; und die von Heike (Lara Feith), Klaus’ späterem Lieblingsmädchen, die zurückschlägt, als der seine Macht schwinden sieht und seinen Frust auch physisch an seinen Prostituierten auslässt, die er irgendwann nur noch nach Obstsorten benennt, weil er sich die Namen nicht merken kann.

Zieht die Fäden und hängt selbst an der Nadel: Jeanette Hein als Jutta.
Zieht die Fäden und hängt selbst an der Nadel: Jeanette Hein als Jutta.Prime Video

Tomate, Zitrone, Pfirsich und Co. sind zwar selbst wahrlich keine Heiligen, ebenso wenig wie die älteren Kiezdamen, die, wie die Männer, in ihnen vor allem Kapital sehen. Es sind die zentralen Dilemmata des patriarchalisch organisierten Kapitalismus, auf die in diesem Mikrokosmos ein rotes Schlaglicht geworfen wird. Die Frauen wollen Geld verdienen, um frei zu sein, und halten gleichzeitig mit ihrer eigenen Ausbeutung das System weiter am Laufen. Um darin zu überleben, nehmen sie es mit Humor und Rauschmitteln. „Auf die Männer, die wir lieben, und die Penner, die wir kriegen.“ Prost.

Luden. Serie, 6 Folgen, Amazon Prime Video