„Und draußen die Nacht“ auf Arte: Geschichtsstunde im Nebel

Der italienische Regieveteran Marco Bellocchio widmet sich in seiner ersten Serie einem mythenumwobenen Politskandal Italiens. Licht bringt er nicht ins Dunkel.

Aldo Moro (Fabrizio Gifuni) muss auf dem Weg zur Umsetzung des „historischen Kompromisses“ viele Hindernisse überwinden. Die politische Zukunft Italiens hängt von seiner Überzeugungskraft ab.
Aldo Moro (Fabrizio Gifuni) muss auf dem Weg zur Umsetzung des „historischen Kompromisses“ viele Hindernisse überwinden. Die politische Zukunft Italiens hängt von seiner Überzeugungskraft ab.ARTE F

„Niemand darf wissen, dass er freigelassen wurde“, sagt ein bebrillter, graumelierter Herr im schwarzen Anzug zu einer Gruppe von Männern, die ihm zum Verwechseln ähnlich sehen und die zu unterscheiden noch eine Weile dauern wird. Nicht einmal der Papst dürfe es erfahren. Den „amerikanischen Freunden“ müsse man die Sache sorgsam vermitteln.

Wer schon einmal vom tragischen Fall des italienischen Politikers Aldo Moro gehört hat, weiß, dass „Und draußen die Nacht“ mit einem Wunschtraum eröffnet. Die angejahrte Führungsriege der „Democrazia Cristiana“, der damals mächtigsten Partei im Land, kam nie wirklich vor dem Krankenzimmer besagten Moros zusammen. Weil es schlicht nie zu seiner Freilassung kam.

Die Geiselnahme des ehemaligen Ministerpräsidenten durch die Brigate Rosse, einer marxistisch-leninistischen Terrororganisation, endete nach 55 Tagen der Gefangenschaft tödlich. Zuvor hatte Moro einen umstrittenen Pakt zwischen der katholischen Volkspartei und der Italienischen Kommunistischen Partei angekündigt. Um die Umstände seiner Ermordung im Jahr 1978 ranken sich in Italien bis heute zahlreiche Mythen und Verschwörungserzählungen. Insbesondere um die Frage, wie es so weit kommen konnte. Und weshalb die amtierende Regierung keine Verhandlungsbereitschaft zeigte.

Regisseur Marco Bellocchio treibt das Thema um

Wie sehr all das den Filmemacher Marco Bellocchio („Mit der Faust in der Tasche“) umtreibt, zeigt schon die Tatsache, dass er sich in seiner fast 60 Jahre langen Karriere nicht zum ersten Mal mit dem Thema auseinandersetzt. Zwanzig Jahre nach „Buongiorno, notte – Der Fall Aldo Moro“ widmet sich der in Cannes mit der Ehrenpalme ausgezeichnete italienische Filmemacher der Thematik nun erneut. Dabei ist „Und draußen die Nacht“ die erste Serie des Regieveteranen – und ihre schwerfällige Umsetzung ein Musterbeispiel dafür, dass serielles Erzählen anders funktioniert als Kino. Und dafür, dass, wer eine Kunst beherrscht, in der anderen nicht zwingend glänzen muss.

Das Konzept klingt verlockend, zumindest auf dem Papier: Nachdem der Film die Perspektive einer Protagonistin der Brigate Rosse einnahm und damit vor allem im Drinnen, also im Versteck der Terrororganisation, verharrte, weitet die sechsteilige Serie den Blick für das Draußen und legt ihr Hauptaugenmerk auf das, was Bellocchio als „Wendepunkt“ in der Geschichte Italiens bezeichnet.

Als politisch-ambitionierter Filmemacher, dessen natürliches Habitat das Gesellschaftskritische im Familienkreis ist, scheint auch der Aufbau bestechend gut mit Bellocchios bisherigem Schaffen vereinbar: Nach einer in die Gemengelage einführenden Auftaktepisode folgen die verbleibenden jeweils einer Persönlichkeit aus Aldo Moros (Fabrizio Gifuni) Umkreis – und beleuchten, wie sie auf die Entführung zu reagieren versuchen.

So etwa seiner Ehefrau (Margherita Buy), seinem Unterstützer Papst Paul VI. (Toni Servillo), einem Paar aus den Brigate Rosse sowie politischen Weggefährten. Während die Sicht des Innenministers Francesco Cossiga (Fausto Russo Alesi) als rechte Hand Moros mit allmählich in den Wahnsinn führenden Schuldgefühlen sowie des sich vor Gram marternden Papstes noch dramatische Spannung aufweisen, haben die restlichen Perspektiven der Erzählung kaum etwas hinzuzufügen.

Üppige Spielzeit, kaum Entwicklung

Trotz der üppigen Spielzeit von je knapp einer Stunde pro Figur werden ihre Motive nur leidlich herausgearbeitet. Auch das Eingreifen der USA, die einer Machtbeteiligung der Kommunisten in einer westeuropäischen Regierung ablehnend gegenüberstanden und nach der Entführung Moros einen „Berater“ ins Land schickten, wird nur angedeutet. Zu erwarten, dass das große Rätsel um die Gründe für Moros Tod, das Marco Bellocchio so reizt, 55 Jahre später durch eine fiktionale Aufarbeitung gelöst werden könnte, wäre wirklichkeitsfremd. Dass sich der Filmemacher nicht recht eine Interpretation heranwagt, erstaunt dennoch – und wirft die Frage auf, weshalb der Stoff überhaupt neu aufgegriffen wurde.

Naheliegend ist eine persönliche Begeisterung für Aldo Moro, dessen Integrität und unermüdliches Engagement als Staatsmann im Laufe der Serie mit Nachdruck betont werden. Ein würdigendes Portrait eines Ausnahmepolitikers wäre dann aber nicht nur der angemessenere inhaltliche Fokus gewesen – er besäße angesichts des Kontrasts zu den Agitatoren, die mit dem Kabinett Giorgia Melonis derzeit das Land anführen, tatsächlich auch gesellschaftliche Relevanz.

Als Film anstatt als Serie umgesetzt, hätte das Konzept dann womöglich nicht nur auf dem Papier funktioniert, sondern auch in der Umsetzung.

2/5 Punkte