Zum Tod von Klaus Lemke: Kino kommt von Küssen
Lemkes Spiel mit der Coolness war so überzeugend, weil er selbst der Coolste war. Der deutsche Film hat seinen unabhängigsten Geist verloren.

Wer als Filmemacher seine besten Darsteller auf der Straße findet, muss dabei nicht unbedingt dem Ernst des italienischen Neorealismus nacheifern. Klaus Lemke fand eine andere Wahrheit in seinen vielen, meist ungemein unterhaltsamen Filmen. Etwas Italienisches hatten sie dennoch. Als er Mitte der 60er-Jahre seine ersten Kurzfilme drehte, pulsierte in ihnen das Lebensgefühl der Schwabinger dolce vita ohne zwischengeschalteten Kunstfilter. Später konnte man den Eindruck gewinnen, dass es nur noch bei Lemke lebendig blieb, dass er mit seinen Entdeckungen wie Cleo Kretschmer, Dolly Dollar oder Iris Berben als letzter die wahre Bohème verkörperte.
Mit Verachtung blickte er auf die anderen Münchner rund um Alexander Kluge, die Unterzeichner des Oberhausener Manifests. Mit der von ihnen initiierten Filmförderung wollte er so wenig zu tun haben wie mit den Weihen der akademischen Filmkritik. Dafür machte er bis zu seinem letzten Atemzug Filme, in denen man spüren konnte, warum man vielleicht einmal überhaupt erst auf den Gedanken kommt, Filme zu machen: Aus der puren Freude daran, es zu tun. Aus Liebe.
Berlinale-Gästen zeigte er den nackten Hintern
Das hatte sehr viel zu tun mit jener Verwandlung aus dem unscheinbaren in ein glanzvolleres Leben, die dem früheren Asphaltierer und abgebrochenen Kunstgeschichtsstudenten gelungen war. Doch so sehr auch seine Filmfiguren ihrer eigenen Verwandlung nachjagten, so sehr blieben sie sie selbst: Die Jetset-Gangster in seinem ersten Langfilm „48 Stunden bis Acapulco“ (1967), der glücklose Fotograf, der in „Negresco*** - Eine tödliche Affäre“ hofft, sich mit der richtigen Frau in die High Society zu schlafen oder der talentlose Autor im Spätwerk „3 Kreuze für einen Bestseller“ (2011).
Auch die wunderbaren Frauenfiguren, die Lemke erfand, ließen sich nicht verbiegen – wie Cleo Kretschmers Gemüsehändlerin in „Amore“, die einen Schmalspur-Casanova in die Schranken weist. Lemkes Spiel mit der Coolness war so ��berzeugend, weil er selbst der Coolste war – und unendliche Sympathien für all jene hatte, die sich vielleicht weniger glücklich daran versuchten.
Unermüdlich warnte er vor den korrumpierenden Effekten von Filmfördergremien und Fernsehredaktionen. Dafür hielt er schon einmal Berlinale-Premierengästen seinen nackten Hintern entgegen. Oder kam sogar ins verhasste Oberhausen, das er Obergrausen nannte. Jedenfalls bis sie ein Musikvideo von ihm im Programm zeigten. 2015 gewann er dort den MuVi-Preis für „Lost and Found“ zur Musik von Mouse on Mars und Eric D. Clark.
Noch am 24. Juni veranstaltete er beim Münchner Filmfest eine seiner Ein-Mann-Demonstrationen mit einem Pappschild „Kunst kommt von Küssen“. Dort hatte auch sein letzter Film Premiere, der auch in der ARD-Mediathek zu finden ist, „Champagner für die Augen – Gift für den Rest“. Anhand zahlreicher Ausschnitte eigener Werke blickt er darin zurück auf das München der 70er-Jahre – ohne ihn wäre es ein anderes gewesen. „Wir dachten damals alle, das Leben würde uns aus der Hand fressen“, kommentiert er, „dann wurden wir in den 80ern selbst zum Futter.“ Am 7. Juli hat der deutsche Film seinen unabhängigsten Geist verloren.