Kiss Waldbühne Berlin Monster Tour: Ohne Heckmeck und Firlefanz

"Die Katze ist Gott, Mann!" Ein glücklicher, mit Aufnähern vollbestickter Jeans-Kuttenträger springt aus einem Gebüsch hervor und knöpft sich die Hose zu. Seine Euphorie liegt in dem zuvor erlebten KISS-Konzert in der ausverkauften Waldbühne begründet: Denn The Demon, The Starchild, The Spaceman und The Cat – so die Bühnenrollennamen der vier Mitglieder von KISS – haben soeben ein überragendes Konzert gegeben.

Die weltbekannten Hardrock-Legenden, deren äußerliches Markenzeichen es ist, mit schwarzweißer Schminke im Gesicht und im Silber-Leder-Space-Look auf hochhackigen Metallbuffalo-Schuhen auf der Bühne herum zu stakseln, bieten ein wahres Rockspektakel mit allem, was dazu gehört: Es gibt Feuerwerk, Nebel, Licht- und Video-Show; Bühnenteile werden hoch und dann wieder runter gefahren – Stadionbühnenrockstandard.

Arbeit und Handwerk

Vor allem aber überzeugen die vier Musiker mit ihrer Musik: mit ihrer sehr ursprünglichen Art und Weise, den Rock zu spielen. Sie machen das schon seit über 40 Jahren mit Riesenerfolg. Es ist dennoch keine Selbstverständlichkeit, einen einmal gefundenen markanten Sound immer wieder derart präzis zu reproduzieren, dass er beim Publikum sofort die gleiche Begeisterung weckt. Das hat mit viel Arbeit zu tun, mit Handwerk. Aber auch mit der Herangehensweise der Musiker: Anders, als man angesichts ihrer extrovertierten Outfits erwarten könnte, spielen sie ihre Instrumente ohne Heckmeck und Firlefanz.

Eric Singer (The Cat) beherrscht das Spiel mit den Trommeln, man hat nie das Gefühl „das ist jetzt aber zu viel des Guten!“, die verschieden gestimmten Toms kommen an den richtigen Stellen perfekt zum Einsatz.

Bassist Gene Simmons (The Demon) pflegt einen ausgeruhten, immer rhythmisch genau gespielten, melodiösen Bass mit herausragend bauchigem und holzigem Sound. Und er singt super.

Der Gitarrist und hauptamtliche Sänger Paul Stanley (The Starchild) spielt eine fein abgestimmte Rhythmusgitarre, und er singt so wie jemand, der seine Stimme genau kennt und mit ihr umgehen kann: Sie ist voll von Charakter und selten tattrig; gerade in seinem von Zeit zu Zeit eingesetzten Falsett überrascht Stanley mit Dringlichkeit.

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Und der Sologitarrist Tommy Thayer (The Spaceman) spielt sein Instrument überaus filigran. Schön ist es, wenn er und Paul Stanley zu zweistimmigen Melodien zusammenfinden.

Pausen müssen sein

Natürlich gibt es auch einen Tiefpunkt. Es fällt schon auf, wenn sich die beiden Rampensäue Simmons und Stanley in der Mitte der Show einfach ins Backstage verkrümeln, um sich für ein paar Minuten auszuruhen, sich nachschminken zu lassen, vielleicht gemeinsam einen Tee zu trinken und derweil dem Schlagzeuger und dem Solo-Gitarristen die Bühne für eine zehnminütige Überbrückungsnummer überlassen. Andererseits: Pausen müssen sein, auch fürs Publikum.

Umso mehr freut man sich dann auch über die Rückkehr der Backstage-Gänger und darüber, wie Gene Simmons mit einem nicht enden wollenden dämonischen Zungenspiel Theaterblutkapseln zermalmt, um dann mit der heruntertropfenden Farbe Rot im Gesicht fiese Grimassen zu schneiden. Schließlich spuckt er auch noch Feuer! Ein weiterer Höhepunkt.

Zuvorkommende Fans

Es gibt viele alte Lieder zu hören, aber auch zwei vom neuesten Album „Monster“ („Hell or Hallelujah“, „Outta This World“). Am meisten freuen die Leute sich, als „I Was Made for Lovin’ You Baby“ erklingt. Das Publikum steht auch auf den Rängen auf, es wird getanzt, sich gegenseitig die Melodie ins Ohr gesäuselt. Es wird auch gezüngelt! Viele wünschen sich, sie hätten eine ebenso filigran verlaufende Zunge wie Gene Simmons.

Das Publikum ist übrigens genauso sympathisch wie das Konzert. KISS-Fans sind zuvorkommend und freundlich, bringen einander Schminkstifte mit und malen sich mit diesen gegenseitig an. Nach dem Ende des Abends fahren viele von den stolzen Kuttenträgern auf bescheidenen Vespas nach Hause.