Kunst aus DDR-Zeit: Blätter voller Zweifel

Die Kunst der Grafik war beliebt zu DDR-Zeiten. Viele ältere wie junge Leute wurden zu Sammlern. Radierungen, Holzschnitte, Lithographien, Siebdrucke und Fotografiken eigneten sich bestens für die zuweilen tief- und hintersinnige Ausgestaltung selbst noch kleinster Plattenbau-Wohnungen.

Es war eine demokratische Kunst. Die Blätter eher klein, dafür überaus erschwinglich und wenn man sich beeilte, waren sie bei den populären Grafik-Aktionen der Tageszeitungen zu haben. Gemeinsame Podien für die vielen passionierten Grafiker und Fotokünstler des Landes waren die von Institutionen und Massenorganisationen in Auftrag gegebenen Mappen zu historischen oder gesellschaftlichen Themen, zu Geschichte, Literatur, Poesie.

Viele dieser Mappen befinden sich im heutigen DDR-Kunstarchiv Beeskow im Oder-Spree-Land. Überhaupt lagern dort 20.000 Kunstwerke aus DDR-Zeit. Nun ist diese 1991/92 vom letzten DDR-Kulturminister Herbert Schirmer ins Leben gerufene, durch viele Fährnisse gegangene, aber inzwischen anerkannte Einrichtung zu Gast im schönsten Ausstellungshaus des Stadtbezirkes Marzahn-Hellersdorf: im Schloss Biesdorf.

36 Blätter für die Mappe

In einem der oberen Säle hängen nun jene im Jahr 1987 bestellten Blätter und Fotos für die Mappe „… und des Menschen Größe“. Einundzwanzig namhafte Künstler aus dem ganzen Land setzten sich intensiv mit Gedichten Johannes R. Bechers (1891–1958) auseinander – und damit auch mit der widersprüchlichen, ja geradezu zerrissenen Person dieses sensiblen Poeten auf der einen und des linientreuen Sozialisten und hohen DDR-Kunst-Funktionärs nach den Exiljahren in der UdSSR auf der anderen Seite, der am Ende seines Lebens desillusioniert und zweifelnd auf die doktrinäre Kunst der Stalinzeit schaut.

Blatt für Blatt, Fotografie für Fotografie bei den insgesamt 36 Arbeiten aus dem Jahr 1987 können wir entdecken, wo die Grenzen des Sagbaren verliefen, wo Unausgesprochenes zu Form, Fleck, Chiffre oder Schatten wurde. Spielräume wurden ausgenutzt – und auch gewährt. Die inhaltlichen Bedeutungen waren gleichnishaft, verschlüsselt.

Aber auch mitunter direkt, etwa in einer düster-grünlichen Aquatinta-Radierung des zivilcouragierten „Heimatkundlers“ Manfred Butzmann. Bechers dichterische Euphorie und einstige Zukunftsgläubigkeit von der „ausstrahlenden Hymne der Verbrüderung“ endet bei Butzmann als bitter-melancholisches Bild vom „Strahlenden Land“: Wir sehen eine sarkastische Metapher für eine (strahlende) militärisch abgesteckte Landschaft nahe Minsk nach der Atomreaktorkatastrophe im ukrainischen Tschernobyl. 70 Prozent des radioaktiven Niederschlags landeten damals in Weißrussland. Diese fatale Tatsache wurde verschwiegen und wird bis heute heruntergespielt.

Johannes R. Becher, der einst so expressiv-pathetische, am Lebensende zweifelnde Kommunist und Dichter, Autor der Nationalhymne der DDR, die mit „Auferstanden aus Ruinen“ begann, hat auch die Künstler dieser Mappe zum Grübeln gebracht. Von Mauerbau und Mauerfall konnte Becher, der NS-Verfolgung und das sowjetische Exil überstanden hatte, nichts wissen, als er 1958 starb. Von Globalisierung auch nichts.

Ein zerrissener Dichter

Aber die Melancholie der letzten Texte dieses das sozialistische System stärkenden wie zuletzt bezweifelnden Mannes ist eingesickert in das Foto von Manfred Paul, Vertreter der sogenannten Autorenfotografie. Wir erblicken eine kahle Amtstube, eine Sammeltasse und lediglich die Beine von zwei Leuten. Wir können nur vermuten, dass die beiden hier miteinander reden wollen – könnten, sollen. Das Gefühl ist: Sprachlosigkeit inmitten des Strudels der gesellschaftlichen Verhältnisse, 1987, zwei Jahre vor dem Mauerfall.

Christine Perthens fast schmerzhaft hartlinige Radierung „Wohin die Zeit wohl geht?“ thematisiert offensichtlich eine Liebe in Zeiten der Unmöglichkeit. Zweisamkeit bei großer Einsamkeit. Und Wolfgang Mattheuer, einer der großen Protagonisten der Alten Leipziger Schule und immer mehr ein Zweifler am Sieg des Sozialismus, schnitt ins Langholz und druckte in Schwarz-Weiß „Größe und Elend“ eines Dichters.

Mattheuer bemühte wie so oft die antiken Mythen für seine Bildsprache. Der Mensch, Krone der Schöpfung homo sapiens, im Profil. Auf den horizontalen, aber wackligen Linien des Lebens trägt er wie einen Stempel die Zeichen des menschlichen Makels. Ikarus will fliegen, aber die Flügel sind geknickt, er kommt der Sonne zu nahe, stürzt tief hinab in die Flammen, zu bösen Mächten, dem Totenkopf des Krieges, zu Kains Brudermord-Messer.

All das steckt in dieser weitsichtigen zweifelsprallen Grafikmappe. Wie gut, dass sie ausgepackt wurde.

Schloss Biesdorf Alt-Biesdorf 55, bis 25. Februar, Mi–Mo 10–18/Fr 12–21 Uhr. Tel.: 516 56 77 90, www. schlossbiesdorf.de