Stopp dem Irrsinn! Soeben wird in der aktuellen, durch den Fall des Ex-Bundestagspolitikers Edathy ausgelösten – und gesellschaftlich auch dringend notwendigen! – Debatte über Kinderpornografie sozusagen das nackte Kind mit dem Bade ausgeschüttet.
Die Affäre des Politikers um verdächtige (Nackt-)Kinderfotos in seinem Besitz verlässt nämlich den gesellschaftspolitisch-moralischen, möglicherweise auch juristischen Raum, in den sie zweifellos gehört. Denn nun blasen Sittenwächter zum Gefecht wider die Kunst. Eine jahrhundertealte wohlgemerkt. Und sei es, als von der Kunstgeschichte längst als Weltkunsterbe geadelte Allegorie, als Gestalt unserer abendländischen Mythologie. Es geht um Amor, der in ungenierter Pose sagt: Ich bin der kleine Gott der großen Liebe. Meinem Pfeil kann keiner entkommen.
Offener Brief an die Galerie
Ein offener Brief an die Berliner Gemäldegalerie Alter Meister richtet allergrößte Bedenken gegen Caravaggios Meisterwerk „Amor als Sieger“, gemalt 1602 und schon seit der Erwerbung aus der Sammlung Giustiani 1815 ein weltberühmtes und vielbeneidetes Juwel der preußischen Museen. Das Bild soll nun, ginge es nach den Briefschreibern, wegen seiner „unnatürlichen und aufreizenden Position“ schleunigst von der Wand. Die „ausdrücklich obszöne Szene“ diene „zweifellos der Erregung des Betrachters“. Auch unter Rücksicht auf das Alter des „Modells“ sei dieses „künstlerische Produkt“ höchst verwerflich. Es könnten Pädophile ihre perversen Neigungen darauf projizieren.
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Auf solch eine Idee kam nicht mal der prüde Kaiser Wilhelm, derweil er Realisten und Impressionisten „Rinnsteinkünstler“ schimpfte. Und nahm etwa die Barock-Epoche all ihre Putten-Bildnisse (auch in Kirchen) mit obszönen Hintergedanken auf? Kunst gerät unter Verdacht. So müssten nun gar alle Museen – von Dresden über Prag, Paris bis London – ihre Bildwerke mit nackten Kindern verbannen.