Ein Gleichnis zum Krieg: Ein Wandbild erzählt vom Frühling

Johanna Staniczek hat für die Kraut-Kapelle der Berliner Nikolaikirche die sechste Variante der seit Kriegsende verschollenen „Auferstehung“ gemalt.

Herb-romantisch. Vor der Landschaft ihrer Kindheitserinnerungen: die Malerin Johanna Staniczek
Herb-romantisch. Vor der Landschaft ihrer Kindheitserinnerungen: die Malerin Johanna StaniczekA. Henkys/Stadtmuseum

Johanna Staniczeks Wandbild „Auferstehung“ ist eine so sanfte wie sehnsuchtsvolle Parabel auf das neu erwachende Leben nach unfreundlicher Zeit. Ihr Frühlingsbild ist kein biblisches Motiv von der Auferstehung des gekreuzigten Jesus,  eher ein herb-romantisches Naturstück. Davor kramt man augenblicks im Langzeitgedächtnis nach Goethes in der Schule auswendig gelernten Versen im „Osterspaziergang“ – „vom Eise befreit sind Strom und Bäche …“ Wie ging das doch mal weiter?

Das Gemälde füllt nun als inzwischen sechste Variante die Leerstelle im sandsteinernen Rahmen der barocken Kraut-Kapelle der Nikolaikirche. Sie gehört zum im Sommer letzten Jahres gestarteten Malerei-Projekt des Stadtmuseums, mit Bilderwechsel alle zwei Monate. Das bis Kriegsende dort befindliche Wandbild „Auferstehung“ eines unbekannten Malers von 1724 ist seit Mai 1945 verschollen. Stadtmuseum-Kurator Albrecht Henkys gewann für die Serie zehn Malerinnen und Maler. Nach dem Finale ist dann eine Ausstellung aller temporären Kapellen-Bilder geplant.

Johanna Staniczek: „Auferstehung“, 2022, Wandbild in der Kraut-Kapelle der Berliner Nikolaikirche, Acryl, Kohle, Kreide auf Papier
Johanna Staniczek: „Auferstehung“, 2022, Wandbild in der Kraut-Kapelle der Berliner Nikolaikirche, Acryl, Kohle, Kreide auf PapierA. Henkys/Stadtmuseum

Was die in Polen geborene, auf der Schwäbischen Alb aufgewachsene Johanna Staniczek mit Acrylfarbe, Kohlestift und Kreide auf den dicken, weichen Papiergrund setzte, ist auch ein sensibles Gleichnis für all die Verstörungen, Zerstörungen und zerbrechenden Gewissheiten durch Putins Aggressionskrieg in der Ukraine. Sie malte unter einem tiefblauen Sternenhimmel und darunter verheißungsvoll aufbrechendem Licht einen  friedlichen Neuanfang. „Kindheitserinnerungen“ nennt sie den vom Eis befreiten, quellenden Waldbach mit noch kahlen, aber bald wieder Laub tragenden Bäumen, mit dem Blätterdach der schützenden Buchen, den lange Blütenwürstchen austreibenden Birken mit ihrer weiß schimmernden Rinde und den Buchen. Und darunter, in der gelbbraunen Erde, wachsen Frühblüher. Jede Blume ein Symbol, wie in der Mittelalter-Malerei: die Narzisse als Zeichen für Ostern, das Ende der Leidenszeit. Die Himmelsschlüssel-Primel, die für Hoffnung und Jugend steht. Das  Veilchen für Geduld und gegen Schwermut. Die blaue Akelei für Vertrauen und Demut. Die Erdbeerblüte für die Speise der Seligen. Und das Gänseblümchen für Standhaftigkeit.

Staniczek sagt, sie habe zu ihrem Motiv durch ein Gedicht von Czesław Miłosz gefunden, durch Verse wie: „Ich spreche schweigend zu Dir, wie die Wolke oder der Baum“. So habe sie über das Verschwinden, den Tod nachdenken müssen und den kindlichen Wunsch nach Wiederkehr, nach Leben, Geborgenheit – und den kostbaren Frieden.

Stadtmuseum, Nikolaikirche, Nikolaiviertel, bis 11. Mai, Di.–So. 10–18 Uhr, Eintritt frei