Das indonesische Künstlerkollektiv Taring Padi, dessen Monumentalbild „People’s Justice“ wegen antisemitischer Bildsprache auf der Documenta abgehängt worden ist, hat sich am Wochenende erklärt und um Entschuldigung gebeten. Während sich das Kuratorenteam Ruangrupa in seiner zuvor abgegebenen Stellungnahme für das Übersehen einer „Figur“ entschuldigt hatte, die an „klassische Stereotype des Antisemitismus“ erinnere, ging Taring Padi in seinem Statement nicht auf spezifische Bilddetails ein.
Die Mitglieder des Kollektivs betonten, dass Antisemitismus „weder in unseren Gefühlen noch in unseren Gedanken“ Platz habe und bedauerten darüber hinaus, „eine mögliche Beteiligung der Regierung des Staates Israel“ an den Schrecken der Militärdiktatur Suhartos „unangemessen“ dargestellt zu haben: „Gewalt, Ausbeutung und Zensur“ und insbesondere der „Massenmord an mehr als 500.000 Menschen in Indonesien im Jahr 1965, der bis heute nicht aufgearbeitet wurde“. Das Banner, so Taring Padi, versuche die „komplexen Machtverhältnisse“ hinter diesen Ungerechtigkeiten aufzudecken.
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Wie sind die beiden Figuren auf dem Banner einzuordnen?
Genauer betrachtet, zeigt das an die Form eines Triptychons angelehnte Bild einen Gerichtsprozess – deshalb auch der Bildtitel: „People’s Justice“. Im oberen Segment des die beiden Seitenteile überragenden Mittelteils halten Vertreter des malträtierten indonesischen Volkes Gericht über die in Gestalt von Hunden, Schweinen und Ratten erscheinenden Angeklagten. Es sind tote Opfer des Militärregimes, die hier aus dem Jenseits Gerechtigkeit fordern: Ihr Richtertisch, zugleich ein Käfig, in dem die Beschuldigten auf ihr Urteil warten, schwebt auf einer großen grauen Wolke, zu der die Seelen der gemarterten Massen aufsteigen.
Das Banner entstand 2002, nur vier Jahre nach dem Ende der Suharto-Diktatur. Damals wurde in Indonesien nicht nur gegen den Verbleib vieler ihrer Angehörigen an der Macht protestiert, sondern auch gegen die – bis heute – nicht stattgefundene Aufarbeitung ihrer Massenverbrechen. Rechts auf dem Banner sieht man den Protest der noch lebenden Opfer, links die einheimischen Täter und deren Unterstützer aus dem Ausland, die hier in einer Art Parade aufmarschieren.
Vor einem mit den Initialen der indonesischen Armee (TNI) versehenen Militärfahrzeug marschieren in einer Reihe Uniformierte, von denen die meisten ausländische Geheimdienste verkörpern: ASIO (Australien), Mossad (Israel), MI-5 (Großbritannien), Marin (Anspielung auf CIA), KGB (Sowjetunion) und 007 – wohl eine Chiffre für die geheimdienstlichen Machenschaften des Westens und seines Gegenparts im Kalten Krieg. Mehrere dieser Spionfiguren haben Nasen, die an die Nüstern eines Schweins denken lassen. Bei der Mossad-Figur, die zusätzlich durch einen Davidstern gekennzeichnet ist, ist diese Art der Darstellung besonders ausgeprägt. Auch die anderen „Geheimdienstler“ sind als Schreckensfiguren gezeichnet – ihre Köpfe sind als Totenköpfe gemalt oder sie tragen solche als Insignien an ihren Uniformen.
Das einzige Werk von Taring Padi mit jüdisch gezeichneten Figuren
Wie bereits Ruangrupa in ihrer ersten Stellungnahme erklärten und wie auch auf „People’s Justice“ ersichtlich ist, ist das Schwein bei Taring Padi ein Symbol für korrupte, geldgierige und teilweise auch explizit kapitalistische Herrscher. Mit einer Schweinsfratze versehen ist unter anderem auch ein karikierter US-Offizier, der rechts von der Agentengruppe vor angedeuteten Massengräbern steht.
Die hiesige Assoziation zu europäischen antisemitischen Darstellungen, in denen Juden mit Schweinen in Verbindung gebracht werden, greift in diesem Fall als einzige Lesart etwas zu kurz. Schweine als Synonym für allerlei Schergen des Suharto-Regimes wie für seine westlichen Unterstützer sind in der Bildsprache linksorientierter Kreise in Indonesien weit verbreitet. Zudem hat die Sichtung etlicher Dutzend Bilder des seit seiner Gründung 1998 als linksrevolutionär auftretenden Künstlerkollektivs ergeben, dass bei Taring Padi – außer in „People’s Justice“ – nirgends eine als jüdisch gekennzeichnete Figur auftaucht.
Als eindeutige Anleihe aus der okzidentalen antisemitischen Bildsprache ist hingegen die verfratzte Figur des gottesfürchtigen Juden einzustufen. Dass sie auch noch mit dem SS-Zeichen versehen ist, deutet darauf hin, dass sie einer Bild- und Diskurswelt entnommen ist, in der Israel in diffamierender Form unterstellt wird, die einst an den Juden verübten NS-Verbrechen nun selbst zu begehen – an den Palästinensern, die in dem Bild von Taring Padi allerdings deplatziert wären: Hier sind die Indonesier das Opfer.
Mit dieser weiteren, als jüdisch konnotierten Gestalt, zumal von Teufelsfiguren umgeben, sollte wohl die Rolle des israelischen Staates bei der Unterstützung des Diktators Suharto hervorgehoben werden. Es ist denkbar, dass hier als Quelle jene in indonesischen islamistischen Kreisen verbreiteten antisemitischen Stereotypen dienten, die durch die Vermittlung arabischer Gesinnungsgenossen nach Indonesien gelangten. Diese Migration antisemitischer Motive hat der deutsche Islamwissenschaftler Fritz Schulze in der Zeitschrift Orientierungen 2006 bereits anschaulich beschrieben.
Woher kommen die indonesischen Ressentiments gegen Israel?
Weshalb also diese starken Ressentiments bei Taring Padi, besonders, aber nicht nur gegen Israel und seinen Geheimdienst? Anders als in Indonesien und Israel ist hierzulande kaum bekannt, dass der Mossad wie auch die sonst im Bild genannten Geheimdienste – und übrigens auch der BND – engen Kontakt zu Suharto und seiner Entourage pflegten. Eine Reihe Dokumente, die das israelische Staatsarchiv vor einigen Jahren freigab, belegen dieses Verhältnis, viele sind allerdings noch immer unter Verschluss. Weil Suharto offene Beziehungen zu Israel vermied, setzte der Mossad auf geheime Kooperation mit Vertrauten des Diktators, die nicht nur als Generäle, sondern gleichzeitig auch als Firmenleiter fungierten.
Den Akten des Mossad und des israelischen Außenministeriums, in denen für Indonesien das Codewort „Haus und Garten“ verwendet wird, ist zu entnehmen, dass eine Tarnfirma des Mossad im Mai 1967 einen Vertrag mit dem indonesischen Staatsunternehmen Perusahaan Pilot Projek Berdikari schloss. Die israelische Seite sollte neben Phosphaten und Pestiziden auch „militärische Ausrüstung“ und „Militäruniformen“ liefern. Zwei Monate später reiste Berdikari-Firmenchef General Suhardiman gemeinsam mit dem Leiter der indonesischen Staatssicherheit Yoga Sugama nach Jerusalem, um über weitere Waffengeschäfte zu verhandeln. Auch mit Rohdiamanten wurde gehandelt, welche die Indonesier den Israelis verkauften. Speziell zu diesem Zweck gründeten im Oktober 1968 der Mossad und seine indonesischen Partner in Hongkong eine gemeinsame Firma.
Vertrauensmann der Israelis war ein gewisser General Ali, vermutlich Ali Murtopo, Leiter der geheimen indonesischen Spezialeinheit OPSUS. Als Jahrzehnte später der israelische Ministerpräsident Itzhak Rabin 1993 unter Vermittlung des Mossad Indonesien besuchte und sich in Jakarta mit Diktator Suharto traf, war es keineswegs seine erste Begegnung mit hochrangigen Mitgliedern der indonesischen Staatselite. Denn Teil des Israel-Besuchs von General Yoga Sugama 1967, bei dem dieser vom damaligen Mossad-Chef Meir Amit begleitet wurde, waren auch Treffen mit Außenminister Abba Eban gewesen – und mit Generalstabschef Itzhak Rabin.
Orthodoxer Jude mit SS-Rune als Reaktion auf eskalierenden Nahostkonflikt?
Dieser historische Hintergrund könnte erklären, weshalb „People’s Justice“ explizite Bezüge zu Israel enthält. Warum aber wurde die Figur des verfratzten Juden hier auch mit dem SS-Zeichen versehen, das Israel mit den Nationalsozialisten gleichsetzt? War hierfür womöglich ein damals aus dem eskalierenden Nahostkonflikt herrührendes Solidarisieren mit der palästinensischen Sache ausschlaggebend? Tatsächlich waren im Jahr 2002, dem blutigsten der Al-Aqsa-Intifada, mehr als tausend Palästinenser und rund 400 Israelis getötet worden.
Ein australischer Film über das Künstlerkollektiv Taring Padi aus dem gleichen Jahr zeigt das Gründungsmitglied Yustoni Volunteero bei der Arbeit an dem Banner sehr nah an der Stelle mit der dämonisierten Judenfigur. In einer vorangehenden Szene, die von einem anderen künstlerischen Projekt in einem indonesischen Dorf handelt, erscheint Voluteero mit einer schwarz-weißen Kufiya, dem „Palästinensertuch“, um den Kopf gebunden vor der Kamera.
Der 2018 unerwartet verstorbene Künstler „Toni“ Voluteero kann die Frage nicht mehr beantworten, ob er die antisemitische Färbung des Israel-Themas auf dem Banner verantwortete. Leider hat das Kollektiv auf Kontaktanfragen des Autors nicht reagiert. Auch nicht auf diejenige der israelischen „Haaretz“-Reporterin Shany Littman, die in ihrem Bericht über die Documenta von Sonntag schreibt, dass ein verstorbenes Kollektivmitglied für die aggressive Darstellung verantwortlich gewesen sein soll. Auf Nachfrage erklärte Littman, dies in Kassel aus dem Umkreis von Taring Padi erfahren zu haben.