An der Karl-Marx-Allee trifft sich Kunst aus Taipeh mit Berlin
Zweimal vier: Das Ausstellungsprojekt in der Friedrichshainer Galerie Kuchling trägt den Titel „Menschsein“.

Sie heißen Jenna Chang, Linna Chi, Yosifu und Ying-Tung Tseng und sie kommen aus Taipeh, der Hauptstadt Taiwans. Ihre Bilder und Skulpturen sind weit gereist, um auf die Bilder und Skulpturen der Berliner Uta Zaumseil, Sorina von Keyserling, Eduard Bigas und Kai Hellbardt zu treffen. Es geht in den Arbeiten auf Reispapier und Leinwand, aus Metall und Keramik um Klimawandel und den Umgang der modernen Menschheit mit der Natur – und um Menschenwürde. Etliche Werke erinnern an die Isolation und Ängste während der Corona-Pandemie. Und viele Arbeiten fragen auch nach der Rolle der Kunst als „Heilmittel“ in einer Welt voller Krisen, Ungerechtigkeit und Gewalt, einer Welt, die sich unaufhörlich verändert und aus den Fugen ist. Und so halten zweimal vier völlig unterschiedliche Bildsprachen zum Thema „Menschsein“ Zwiesprache: abstrakt, realistisch, emotional, sachlich und auch spirituell.
Dieses Projekt von KunstLeben Berlin wird unterstützt vom Auswärtigen Amt und von Radio Taiwan International. Die Arbeiten der vier Berliner Künstlerinnen und Künstler waren schon in Taiwan zu sehen, mit großem Zuspruch des Publikums im von chinesischen Begehrlichkeiten politisch immer heftiger bedrohten Inselstaat zwischen Ost- und Südchinesischem Meer.

Linna Chis Gemälde entstanden teils schon während der Covid-Lockdowns. Ihr „Phantom of the Song“ erzählt von der großen Sehnsucht nach Gemeinschaft, angstfreier Zukunft und Freiheit. In Uta Zaumseils Farb-Linolschnitt reckt eine Person nur die Schuhe in den Blickpunkt, so als sei das (während der vielen Sperren des öffentlichen Lebens) die einzige Möglichkeit gewesen, mit sich selber zu kommunizieren. Und Jenna Changs Plastiken verraten die Architektin: Weibliche Figuren formte sie als Stufen oder versah sie mit Flügeln. Ihre Berliner Kollegin Sorina von Keyserling modelliert Köpfe nach der Natur, ganz ohne Bezug zu Schönheitsidealen. Ihre lebensnahe Bildsprache sucht die Stille. Eduard Bigas, ein in Berlin lebender Katalane, zeigt uns eine surreale Welt. Eine der Zeichnungen entstand bei einem Aufenthalt in Taiwan und verbindet sich mit der per QR-Code zu hörenden Audioaufzeichnung „Delirium and other paintings“.
Es ließe sich zu jedem Werk der Taiwanesen eine eigene Geschichte erzählen
Der Farbkontraste liebende Maler Yosifu gehört zum Volk der Amis, der lange ungerecht behandelten Ureinwohner im Osten Taiwans. In seinen Bildern verweist er auf die oft noch immer prekäre Situation seiner Leute. Stark ist ein Doppelporträt auf rotem Bildgrund, wo zwei junge Gesichter herausschauen und zu sagen scheinen, dass sie stolz darauf sind, vom Stamm der Amis zu sein, die Anerkennung wollen, Gleichberechtigung. Es ließe sich zu jedem Werk, gerade der Taiwanesen, eine ganz eigene Geschichte erzählen, historisch, poetisch, auch politisch. So wie zu der Arbeit von Ying-Tung Tseng. Seine Wandinstallation „24 Jahreszeiten“ ist Ausdruck der taoistischen Lehre und der Liebe zur Natur, zur Geschichte seines Landes. Er brachte eine Energielandschaft nach Berlin, die sich auf den uralten Lunisolarkalender (Bauernkalender) bezieht.
Berlin meets Taipei. Galerie Kuchling, Karl-Marx-Allee 123, Mi–Fr 14–19/Sa 13–18 Uhr. Bis 25. Mai