Feministische Kunst: „Ich werd nie mehr so ein blödes Huhn sein!“

Alles nur noch „Automatik“? Margaret Raspés Hausfrauen-Koller im Berliner Haus am Waldsee.

„Oh Tod, wie nahrhaft bist du.“ Installationsansicht von Margaret Raspés Filmkunst über den Hausfrauenjob
„Oh Tod, wie nahrhaft bist du.“ Installationsansicht von Margaret Raspés Filmkunst über den HausfrauenjobHaus am Waldsee/Frank Sperling

Die Frau ist eine Entdeckung. Spät, zum Glück nicht zu spät, hat Anna Gritz, Chefin des Hauses am Waldsee, sich dem Werk der bejahrten Berlinerin Margaret Raspé zugewandt – und im idyllisch gelegenen Zehlendorfer Kunsthaus ausgebreitet.

Raspé, 1933 geboren in Breslau, ausgebildet an der Münchner Kunstakademie und an der West-Berliner HdK, wird bald 90. Doch noch nie widmete ihr eine Berliner Galerie oder ein Museum eine Retrospektive. So, als wäre ihre Kunst seit dem Bilderspektakel der „Jungen Wilden“ im West-Berlin der 80er-Jahre und erst recht in den letzten drei Jahrzehnten seit dem Mauerfall und der Wiedervereinigung durch den Rost gefallen. Oder hinter einem Vorhang versteckt gewesen. Die sich inzwischen kräftig ermannende Szene der feministischen Künstlerinnen Berlins hat diese Pionierin schlichtweg vergessen in den eigenen Kämpfen um Sichtbarkeit und Wirkmacht.

Und so erzählt das Haus am Waldsee eine lokale Kunst-Geschichte von universaler Relevanz. Eine, die sich in Filmen und Installationen humorvoll bis ironisch mit dem Pflichtprogramm und Küchenkoller der Hausfrauen und Mütter, wo auch immer auf dieser Welt, auseinandersetzt. Denn als Frau in einem lange Zeit männlich dominierten Milieu blieb Margaret Raspé mit ihrer Kunst zumeist ebenso brotlos wie mit ihrer Arbeit für Kinder und Haushalt.

Margaret Raspé: „Fernsehfrühstück“, 1994/2023
Margaret Raspé: „Fernsehfrühstück“, 1994/2023Courtesy die Künstlerin und Deutsche Kinemathek Berlin/Haus am Waldsee/Frank Sperling

Umso mehr berühren ihre Werke Fragen der Empathie, Ökologie, Nachhaltigkeit, der Spiritualität und Heilung. Also all das, was man schlechthin mit erwartbarem, betont weiblichem Verhalten und weiblicher Kunst verbindet.

Raspé aber drückt sich bisweilen durchaus rabiat, ja radikal aus: Erschrocken sehen wir jene Filmszene, in der sie einem Huhn den Kopf abschneidet mit den Worten: „Oh Tod, wie nahrhaft bist du.“ Sie sagt dazu, dies sei ein Wendepunkt gewesen. „Als ich das Huhn tötete, habe ich auch eine Vorstellung von mir selbst getötet: du blödes Huhn. Nie mehr werde ich ein Huhn sein! Ich habe ihm den Kopf abgeschnitten, weil Frauen ja nicht selber denken sollten.“

Seit 50 Jahren lebt Raspé in einem Haus mit Garten im Rhumeweg, ganz in der Nähe des Hauses am Waldsee, und hat, zumindest für die Augen des Berliner Publikums, ein eigenwilliges, bislang weitgehend unbekanntes, umso frappierenderes Werk aus Alltagsleben und Kunst geschaffen. Kunsthaus-Direktorin Anna Gritz ist nun sozusagen  die Wiederentdeckerin der fast Vergessenen.

Deren Lebenswerk ist nun endlich mal ganz zu sehen. Raspé nennt ihre Schau „Automatik“, angelehnt an den alltäglichen, ermüdenden, aber unabdingbaren Automatismus, den eine den Lebensunterhalt verdienende, alleinerziehende Mutter dreier Kinder, zumal mit schmalem Budget, aufbringen muss, um nicht im Chaos-Strudel der endlosen Aufgaben abzusaufen. Es ist keine Nabelschau, die uns die bejahrte Künstlerin vorführt. Was sie zu Filmen und Installationen machte, ist universal und kann wohl von jeder Frau mit Familie auf diesem Planeten, die nicht von einer Dienerschaft umschwirrt wird, nachvollzogen werden. 

Wer sich auf die merkwürdigen Installationen von Lautsprechern, Minifernsehern auf dem Esstisch (überzogen mit Bienenwaben) einlässt, sich die mit einer wackelnden Stirnkamera gedrehten Küchenszenen vom Kuchenteigmixen, Schnitzelklopfen und -braten im fahlen Palmfett und eiligem Geschirrspülen anschaut, begreift: Margaret Raspé ist eine Schlüsselfigur der feministischen Kunstszene Berlins. Sie zeigt, ganz im Brecht’schen Sinne, das Einfache, das so schwer zu machen ist.

Margaret Raspé mit Kamerahelm in der Küche, ca. 1974 
Margaret Raspé mit Kamerahelm in der Küche, ca. 1974 Courtesy die Künstlerin und Deutsche Kinemathek/Heiner Ranke

Raspé, die früher engen Kontakt zur Fluxus-Szene und zu den Wiener Aktionisten hatte, wurde sogar zur Erfinderin, die selbst Beuys mit seinen Aggregaten und Honigmaschinen alt aussehen ließ. 1971 baute sie sich, ganz pragmatisch, den „Kamerahelm“, wie ihn die Fotoindustrie Jahre später auf den Markt brachte: ein Baustellenhelm, ausgestattet mit einer Super-8-Kamera, die genau die Zentralperspektive des Blickes der Künstlerin einnahm und es ihr ermöglichte, ihren Alltag zu filmen: all die automatisierten Verrichtungen bei der obligatorischen Hausarbeit.

Raspé machte daraus Performances, Konzeptkunst, experimentelle Filme, die in Deutschland nur fragmentarisch rezipiert wurden, anders als in New York und London. Und sie hat die selbstverständliche Küchenarbeit aufgeladen mit Phantasie und feiner Ironie: Den Akt des Schlagens von Sahne nennt sie „Der Sadist schlägt das eindeutig Unschuldige“, dem Backen, Braten, Abwaschen und Putzen gab sie Titel wie „Alle Tage wieder – let them swing!“.

Margaret Raspé: „Alle Tage wieder – let them swing!“, 1974, Super 8, Farbe, ohne Ton, 20 Minuten 
Margaret Raspé: „Alle Tage wieder – let them swing!“, 1974, Super 8, Farbe, ohne Ton, 20 Minuten Courtesy die Künstlerin und Deutsche Kinemathek Berlin

Die Helmkamera zeichnete alles auf, auch die Körperbewegungen der Künstlerin, sozusagen als Transformation des Banalen in eine höhere Ebene: Raspé gelang es schon vor mehr als vierzig Jahren, vor der Zeit der Diskurstheorien in der Bildkunst und der feministischen Struktur-Debatten, den Kontext von Handarbeit und Kopfarbeit, von Bewusstem und Unterbewusstem und umgekehrt zu thematisieren. Sie setzte ihren eigenen Körper ein als programmierbare Frau-Maschine, nannte sich sarkastisch „Frautomat“, da ihr der Kamerahelm wie eine prothetische Erweiterung des Hausfrauenkörpers diente. Was für eine Avantgardistin!

Margaret Raspé: Automatik. Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30. Bis 29. Mai, Di–So 11–18 Uhr