Der Berliner Fotograf Micha Winkler ist tot: Landschaftsrätsel aus der Black Box

Unerwartet starb der Berliner Fotograf Micha Winkler im 64. Lebensjahr. Unlängst erst war er mit dem Brandenburgischen Kunstpreis geehrt worden.

Micha Winkler, Fotograf (1958–2022)
Micha Winkler, Fotograf (1958–2022)Torsten Harmsen

Die Ehrung mit dem Brandenburgischen Kunstpreis im Sommer in Neuhardenberg nahm er bescheiden mit den Worten entgegen: „Macht nicht so viel Gewese“. Tage später war er wieder mit seiner Lochkamera unterwegs, mit Ideen für die Ausstellung in seiner Lieblingsgalerie Bernau. Am vergangenen Wochenende begann dort die Fotoschau „Black Box“, zusammen mit den Fotografen Josie Rücker aus Biesenthal und Jörg Möller aus Berlin, die sich durch eine rätselhafte Bildverweigerung und bewusstem Einsatz des analogen Schwarz-Weiß-Films aus dem riesigen, digitalen gen Mainstream der gegenwärtigen fotografischen Bilderflut absetzt. Die Kameras dieser drei suchen stille Landschaften, da, wo das Nachtschwarz und geizige Lichtquellen gerade noch zulassen, dass man etwas von der Gegend sieht. Und wir erleben es, wenn wir uns die Zeit nehmen: Black Box-Kunst, Bilder aus dem „Schwarzen Kasten“, wie ihn Flugzeuge als Flugschreiber haben, kann sichtbar machen, was sonst verborgen bleibt.

Landschaft aus der Black Box: Micha Winklers „Cornwall Tourist“, 2022.
Landschaft aus der Black Box: Micha Winklers „Cornwall Tourist“, 2022.Micha Winkler/Galerie Bernau

Micha Winkler konnte zur Vernissage schon nicht mehr kommen. Es ging ihm nicht gut. Drei Tage später, am 17. Oktober, kam die Todesnachricht. Er war noch keine 64 Jahre alt, steckte voller Pläne für Experimente mit seiner selbst gebauten Camera Obscura. Ihm bot sie die Möglichkeit einer „Schule des Sehens“. Jetzt wird sein Ausstellungsbeitrag zum Vermächtnis, ein ganzer Raum der Galerie Bernau mit Landschaften, die meisten aus der herb-schönen englischen Grafschaft Cornwall. Wasser, Himmel, vage Dinge, Vögel, Figuren vielleicht. Bildgeheimnisse, Rätsel der Natur. Die Realität hatte er durch die langen Belichtungszeiten verändert. So gerann alles, was sich hastig bewegte, zu Schemen. Mit den spezifischen Eigenschaften der Kamera erschuf er Bilder ungewöhnlicher Sichtweisen und Schärfeverteilungen. Diese Perspektiven vereinen Aspekte der modernen Medien, wie der Digitalfotografie und erinnern zugleich an klassische Malerei durch ihre anmutige Weichheit.

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Der Wechsel von unscharfen, zerfließenden Konturen und exakter Schärfe in einem Bild schafft eine Magie, wie sie nur den Lochkamerafotos eigen ist. Micha Winkler wollte, dass eine Realität zutage tritt, die wir in der Hast des Alltags nicht wahrnehmen. Er ließ Surreales entstehen. Alles ist, wie in einer Überwirklichkeit, zum Stillstand gekommen. Das Eilen, das menschliche Streben. Und Irren. Kunst, wie er sie verstand, ist etwas, das Zeit braucht. „Die Zeit ist vorbei, in der es auf die Zeit nicht ankam. Der heutige Mensch arbeitet nicht mehr an dem, was sich nicht abkürzen lässt“, schrieb Walter Benjamin.

Black Box, Galerie Bernau, Bürgermeisterstr. 4, 16321 Bernau, bis 17. Dezember, Mi–Sa 10–18 Uhr.