Der nackte Hieronymus war ein Scheunenfund. Nun ist er ein Millionen-Heiliger

Anthonis van Dyck malte „A Study for Saint Jerome“ Anfang des 17. Jahrhunderts. Fast verschollen, kam das Werk jetzt in New York  für 3,075 Millionen Dollar unter den Hammer.

Vergeistigte Askese: Das Gemälde „A Study for Saint Jerome“ (Eine Studie für den Heiligen Hieronymus) des flämischen Malers Anthonis van Dyck (Ausschnitt/oberer Bildteil
Vergeistigte Askese: Das Gemälde „A Study for Saint Jerome“ (Eine Studie für den Heiligen Hieronymus) des flämischen Malers Anthonis van Dyck (Ausschnitt/oberer BildteilSotheby's

Solche Storys liebt der sensationsgeile Kunstbetrieb am allermeisten: ein altes Gehöft, irgendwo im Bundesstaat New York Ende der 90er-Jahre. Vielleicht ein Bruder jenes düsteren kalifornischen Hitchcock-Hauses für „Psycho“, für das ein Hopper-Gemälde als Vorlage diente. Man stelle sich eine von Autowracks, wurmstichigen Holzkisten und vergessenem Krimskrams vollgestopfte Scheune vor. Staub und Vogeldreck überall.

Ein Kunstsammler mit Spürnase, Albert B. Roberts, inspizierte in dieser Scheune den Nachlass eines verstorbenen Hofbewohners. Und fand in dem Gerümpel die realistische Ölzeichnung von einem ledrigen Alten, vermutlich frühes 17. Jahrhundert. Besagter Sammler kaufte den Hof-Erben die Leinwand für 600 Dollar ab.

Gerade kam das Motiv im New Yorker Auktionshaus Sotheby’s unter den Hammer. Keine zwei Minuten  war es aufgerufen – und erbrachte 3,075 Millionen Dollar. Es ist erwiesen, dass es sich um ein Werk des flämischen Barockmalers Anthonis van Dyck (1599–1641) handelt, eines Zeitgenossen von Rubens, Rembrandt und Hals, um eine Öl-Studie für dessen berühmte Gemäldefolge des Heiligen Hieronymus. Der Flame hat mindestens sechs Varianten des biblischen Einsiedlers gemalt. Eins der Meisterwerke, der „Büßende Hieronymus“, gehört der Gemäldegalerie Dresden, eine andere, „Hieronymus in der Wüste“, dem Landesmuseum Oldenburg. Es gibt wohl lediglich zwei  Vorstudien in Öl.

Einsiedler in der unwirtlichen Wüste

In der mittelalterlichen Kunst war das Leben des Einsiedlers Hieronymus vor allem wegen dessen freiwilligen Aufenthalts in der unwirtlichen Wüste ein Thema. Dürer stellte den kathartischen Greis in Grafiken dar. Oft bildeten  Künstler den alten Kirchengelehrten Hieronymus (347–420) in Begleitung eines ruhenden Löwen ab. Ihm hatte der Asket einen schmerzenden Dorn aus der Tatze gezogen, die Wunde gereinigt, das wilde Tier sogar gepflegt. Die Raubkatze blieb daraufhin brav bei dem Heiligen, von dem es heißt, er sei der Schöpfer der „Vulgata“, habe die Bibel aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt. Hieronymus in der Wüste, in der Wildnis, als Büßer oder mit dicken Büchern sinnierend im Gehäuse, ist Sinnbild des auf weltliche Genüsse verzichtenden Denkers, eines gottgefälligen Lebens im Übergang zum Forscherdasein.

Der aus Antwerpen stammende, am Londoner Hof vor allem wegen seiner hochpathetischen Altarbilder und der Porträts der höfischen Gesellschaft erfolgreiche und dort gestorbene Van Dyck war in jungen Jahren Mitarbeiter, heute würde man sagen Assistent von Peter Paul Rubens in dessen Antwerpener Werkstatt. An Pathos mangelt es seinen Hieronymus-Darstellungen, auch dieser nun millionenschweren, undatierten Öl-Studie „A Study for Saint Jerome“ (Eine Studie für den Heiligen Hieronymus) nicht. Doch hat dieses Pathos nichts zu tun mit der Pracht, der verschwenderischen  Üppigkeit barocker Bildwerke jener Zeit. Der  nackte – wie ausgesetzte – Körper des Eremiten, der fusselige Bart, dessen Grau mit Weißhöhungen betont ist, das wettergegerbte Gesicht, die Falten am mageren Bauch, dazu die laufgewohnten Beine und die geäderten Arme eines Mannes, der offensichtlich nur karge Mahlzeiten kennt – all das steht für vergeistigte Askese. Ein Teil des Erlöses geht an eine Stiftung für Kunstschaffende.