Erika klappert im Minsk: Die Schreibmaschinenkunst von Ruth Wolf-Rehfeldt

Das Minsk genannte neue Potsdamer Haus für Kunst aus der DDR-Zeit präsentiert das Werk der Berliner Typewriting-Pionierin Ruth Wolf-Rehfeldt.

Ruth Wolf-Rehfeldt: „Still-Leben, collagiert“, 1980er-Jahre.
Ruth Wolf-Rehfeldt: „Still-Leben, collagiert“, 1980er-Jahre.Courtesy die Künstlerin Ruth Wolf-Rehfeldt/Galerie ChertLüdde

Im Foyer klappern die Typen der Erika-Schreibmaschinen. Das Publikum wagt an einem großen Tisch den Selbstversuch, auch mal so kunstvolle, witzige, poetische Buchstaben - und Zahlengebilde aufs Papier zu setzen, wie Ruth Wolf-Rehfeldt, die Typewriting-Pionierin aus Pankow. Ist ganz schön kompliziert, so das Resümee der mutigen Dilettanten. Den Versuch war’s wert. Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit, das wusste nicht bloß Karl Valentin.

Ruth Wolf-Rehfeldt ist soeben 91 Jahre alt geworden, darum hat ihr das im letzten Herbst eröffnete Potsdamer Kunsthaus Minsk eine erste umfassende Retrospektive ausgerichtet. Alles ist liebevoll arrangiert: die Anfänge, sogar ihre abstrakten Malereien. Man entdeckt die sich zügig einstellende Virtuosität auf den poetischen Buchstabenwellen von A bis Z, den fliegenden Buchstaben, der Schwarmintelligenz von Pfeilen, Kegeln, Kuben, den Ornamenten, Architekturen, Schmetterlingen. Und den Käfigen – Symbole für die Enge im vormundschaftlichen Staat DDR.

Ruth Wolf-Rehfeldt: „Fragezeichen“, Mitte der 1970er-Jahre. 
Ruth Wolf-Rehfeldt: „Fragezeichen“, Mitte der 1970er-Jahre. Courtesy die Künstlerin Ruth Wolf-Rehfeldt/Galerie ChertLüdde

All die ungewöhnlichen Typen-Grafiken machte sie seit den 1970er-Jahren. Als Schreibkraft, dann Büroleiterin in einem Ost-Berliner VEB waren Erika-Schreibmaschinen (DDR-Klassiker) ihre  Arbeitsgeräte. Die grenzenlose Fantasie der kleinen stillen Frau ließ sie aus Buchstaben und Zahlen grafische Bilder „umschreiben“ zu philosophischen Gebilden. Am Küchentisch tippte sie aus dem Alphabet, aus Nullen, Kommas, Satzzeichen serielle Muster. In den Achtzigern besorgte sie sich eine Kugelschreibmaschine. Die ermöglichte ihr feinste Strukturen, Punkte-Texturen wie ins Papier gestickt. Bald eignete sie sich geradezu meisterlich grafische Techniken wie die Zinkografie und die Fotomontage an.

Und sie stand, wie ihr Mann, der von der Stasi beargwöhnte (leider früh gestorbene) Mail-Artist und Beuys-Freund Robert Rehfeldt, mit ihrer Papierkunst im regen Austausch mit Künstlern in der Welt. Ein solch grafischer Kosmos, der zurückgeht auf die Avantgarden des 20. Jahrhunderts von Chlebnikow über Theo van Doesburg bis Max Bill, Joseph Kossuth und Carlfriedrich Claus in West und Ost, heißt in der Kunstgeschichte auch „visuelle“ oder „konkrete Poesie“.

Wolf-Rehfeldts intellektuelle und künstlerische Leistung wurde auf der Documenta 14 nachgerade euphorisch vom jungen Kunstpublikum gefeiert und letzten Herbst mit dem Hannah-Höch-Preis der Stadt Berlin geehrt. In Potsdam wird die Künstlerin abermals gefragt, wieso sie denn 1990 aufgehört habe mit ihrer Schreibmaschinenkunst. Die Antwort fällt völlig unsentimental aus: „Weil im Zeitalter der Computer, der Mailsysteme, die getippte Mail-Art obsolet ist.“ Darum lautet der Titel ihrer Ausstellung „Nichts Neues“. Ihre Erikas sind DDR-Museumsgegenstände. Ihre philosophischen Assoziationsketten, das Utopische, aber auch das Subversive der künstlerischen Kommunikation über die Mauer hinweg sind ihr 1990 einfach abhandengekommen.

Ruth Wolf-Rehfeldt: Nichts Neues? Das Minsk – Kunsthaus in Potsdam, Max-Planck-Str. 17, Mi–Mo 10–19 Uhr. Bis 7. Mai Das Museums-Café-Restaurant im schönen Hedwig-Bollhagen-Design hat an allen Öffnungstagen offen.