Fotos zu Drogen und Sex: Gewinnerin des Käthe-Kollwitz-Preises ist Nan Goldin

Nan Goldin macht seit Jahrzehnten die Abgründe des Außenseiterlebens zu so provokanter wie emotionaler Fotokunst.

Frauenpower: Die amerikanische Fotografin Nan Goldin (vorn) in einer Schau ihrer tabulosen Bilder.
Frauenpower: Die amerikanische Fotografin Nan Goldin (vorn) in einer Schau ihrer tabulosen Bilder.dpa/Christophe Gateau

Das war längst überfällig: Nan Goldin, die weltberühmte amerikanische Fotokünstlerin erhält, wie eben gemeldet wurde, den Käthe-Kollwitz-Preis der Berliner Akademie der Künste 2022.

Kollwitz hat in ihrer gegen Gewalt, Krieg und Unrecht gerichteten Kunst den Satz geprägt: „Ich will wirken in dieser Zeit, in der die Menschen so ratlos und hilfsbedürftig sind.“ Nan Goldin aus Washington D.C. nahm jenen Faden früh auf – mit ihren provokanten Fotos zu den Themen Gewalt, Drogen, Sex, Tod.

Und ähnlich wie das Werk der Kollwitz, das von den Nöten, Wirren und Verwerfungen des Ersten Weltkrieges, der Weimarer Republik und der Nazi-Diktatur geprägt war, so ist auch das fotografische Œu­v­re der heute 68-jährigen Amerikanerin eng mit ihrer Zeit verwoben – mit den wilden, gegen das Establishment aufbegehrenden 1970er-, 80er-Jahre sowie der turbulenten Wendezeit. Und mit ihrer ganz privaten Erfahrung von Sexualität, Begierde, Gewalt, Krankheit und Trauer.

Das war im November 2010 im Landesmuseum Berlinische Galerie, im Monat der Fotografie: Besucher im Saal mit Nan Goldins Fotos von schwulen Freunden. Nicht um Provokation geht es, sondern um Nähe und Vertrautheit.
Das war im November 2010 im Landesmuseum Berlinische Galerie, im Monat der Fotografie: Besucher im Saal mit Nan Goldins Fotos von schwulen Freunden. Nicht um Provokation geht es, sondern um Nähe und Vertrautheit.dpa/Stephanie Pilick
Anzeige | Zum Weiterlesen scrollen

Goldins Bilder von Frauen, Männern und Kindern sind von radikaler Intimität. Man spürt davor fast körperlich Momente zerbrechlicher Intensität. Goldin musste sich aufgrund ihrer tabulosen Darstellungen der Realität von Schwulen, Lesben, Transvestiten, Queers und auch HIV-Infizierten, deren Sterben sie bis in die 1990er-Jahre hinein begleitete, immer wieder des Vorwurfs der Sensationsgier und des Voyeurismus erwehren.

Dem entgegnete sie meist mit der Erklärung, es handle sich bei den Aufnahmen um ihre ganz persönliche Art von „Familienbildern“. Sie fotografierte nämlich tatsächlich ein Milieu, zu dem sie, zeitweise selbst drogenabhängig, gehörte. So war sie auch eng befreundet mit der West-Berliner Underground-Band Tödliche Doris.

Mit ihren Fotoserien aus diesem Umfeld brach sie Tabus und verschaffte den von den „Gutbürgerlichen“ abgelehnten Communitys Akzeptanz. Durchschlagende Wirkung hatte ihr so emotionaler wie distanzloser Zyklus „The Ballad of Sexual Dependency“. Auch darin ist sie der Kollwitz verwandt: Denn ihre Bilder entstehen nie mit voyeuristischem Blick. Es ist immer die Perspektive einer Involvierten, einer Betroffenen. Goldin spricht heute, im Rückblick auf ihre Karriere, von Schmerz, von tiefer Verzweiflung. Und Leere. Umso mehr engagiert sie sich in der Drogenbekämpfung, insbesondere gegen große US-Opioid-Pharmakonzerne und deren Förderung großer Kunstinstitutionen in den USA. Sie unterstützt zudem auch Frauen- und Jugendprojekte. Auch davon werden wir in ihrer Berliner AdK-Schau im Januar 2023 erfahren.

.