Gasag-Kunstpreis für Emilija Skarnulyte: Die Meerjungfrau und der Blaue Planet

Mutter Erde ist aus der Balance geraten. Auch die Kunst mahnt deshalb. Warum erhält die Litauerin Emilija Skarnulyte den Gasag-Kunstpreis?

In ihren Filmen über die dramatischen ökologischen Verwerfungen auf unserer Erde steht eine Meerjungfrau für das Prinzip Hoffnung: die Künstlerin Emilija Skarnulyte aus Vilnius.
In ihren Filmen über die dramatischen ökologischen Verwerfungen auf unserer Erde steht eine Meerjungfrau für das Prinzip Hoffnung: die Künstlerin Emilija Skarnulyte aus Vilnius.Monika Penkute/Berlinische Galerie/GASAG

Es ist kein Alarmismus angesagt. Emilija Skarnulyte lässt nicht effektvoll die Öko-Sirenen heulen, wenn sie an unser ökologisches Gewissen und an die Vernunft appelliert. Die junge Künstlerin aus Vilnius filmt, genau beobachtend und gut informiert, was die Mutter Erde in rasender Geschwindigkeit zerstört. Was gerettet werden muss, wenn der Blaue Planet eine Zukunft haben soll. In ihrer Kunst geht es um Fragen der Zivilisationsgeschichte, Ökologie, Geologie sowie der Meeres- und Klimaforschung.

Deshalb entschied die Jury, den alle zwei Jahre und nun bereits zum siebten Male in Kooperation mit dem Landesmuseum Berlinische Galerie ausgelobten Gasag-Kunstpreis an die 34-jährige Litauerin zu vergeben. Denn die Voraussetzung für diese Ehrung ist immer eine künstlerische Position an der Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft und Technik. Skarnulyte beeindruckt mit ihren Filmen über einen ehemaligen U-Boot-Stützpunkt am Polarkreis in Norwegen sowie über stillgelegte sowjetische Atomreaktoren und Radaranlagen. Sie drehte auch in wissenschaftlichen Forschungszentren wie dem CERN bei Genf. In der Jurybegründung heißt es: „Ihre Werke versetzen die Betrachterinnen und Betrachter in eine imaginierte, ferne Zukunft: Der Meeresspiegel ist gestiegen, die Menschen verschwunden, die Technologien unserer Zivilisation nur noch Ruinen".

Die Film-Protagonistin der Litauerin ist eine Meerjungfrau: Das mythische Wesen steht für eine mögliche posthumane Lebensform, die sich an den veränderten Lebensraum angepasst hat. In diesen meditativen Bildern wird die Einwirkung des Menschen auf die gegenwärtige und zukünftige Beschaffenheit des Erdsystems erfahrbar. Und es sind dystopische Orte, an die uns die Künstlerin suggestiv, poetisch, aber ohne Larmoyanz führt. Gerade deshalb erreicht sie in ihrer Kunst ein Höchstmaß an Dramatik. Seit jüngster Zeit nutzt sie auch Kartierungstechnologien wie Sonar-Ortung, Fernerkundung und Meeresboden-Scanning zur Erforschung von Strukturen in Meerestiefen.

So untersuchte sie die antike römische Stadt Baia, die aufgrund seismischer Aktivitäten im Mittelmeer unter Wasser steht. Skarnulyte reiste zum Golf von Mexiko, wo im Labor gezüchtete Korallen zur Wiederherstellung von Ökosystemen eingesetzt werden, die durch Ölunfälle geschädigt sind. In all ihren Videos verschränkt die Künstlerin dokumentarische Bilder mit Fiktion sowie die Vergangenheit mit der Gegenwart und Zukunft. Zur Art Week im September 2022 richtet die Berlinische Galerie Emilija Skarnulyte eine große Einzelausstellung aus.