Kristin Feireiss zum 80. Geburtstag: Berlins Salonière der Weltarchitektur
Als Aedes-Mastermind sorgte Kristin Feireiss dafür, dass Berlin an die globale Architekturszene angeschlossen blieb. Nun feiert sie ihren 80. Geburtstag

Fragt man Kristin Feireiss, wo sie ihre Orden aufbewahrt – das Bundesverdienstkreuz am Bande von 2001 oder den vom holländischen Königshaus verliehenen Ritter im Orden vom Niederländischen Löwen von 2013 –, steht sie vom heimischen Schreibtisch (ein großes altes Büromodell) auf und öffnet eine Schublade im Schränkchen. „Ach, da sind sind sie, die habe ich ja ewig nicht mehr angeschaut“, sagt sie kramend und bewundert die Emaillefarben der Kreuze und Medaillen. Diese offensive Freude an Gelungenem, diese (auch strategische) Unkompliziertheit ist ein Charakterzug der Mitgründerin und Chefin der Berliner Architekturinstitution Aedes.
Am heutigen Freitag feiert Kristin Feireiss ihren 80. Geburtstag mit einem prominent besetzten – Nina und Daniel Libeskind kommen extra aus New York, Wolf Prix von Coop Himmelblau aus Wien – Dinner im Restaurant Lovis, das zu dem von den Berliner Architekten Grüntuch Ernst zum Wilmina-Hotel umgebauten Ex-Frauengefängnis in der Kantstraße gehört.
80 Jahre, das ist schon was. Naturgemäß wirkt Feireiss, hochgewachsen und modelschlank, wie immer modisch mit sportlichem Einschlag, mindestens 15 Jahre jünger. Ihren Bobschnitt mit dichten Stirnfransen trägt sie, kürzer und schnurgerade glatt geföhnt, auf dem Foto von 1980, das sie mit Helga Retzer in der Charlottenburger Grolmannstraße zeigt. „Wir wollten keine Galerie sein, in der Architektenzeichnungen verkauft werden“, sagt Feireiss, „sondern ein Ort, an dem Architektur vermittelt wird. An dem die Berliner direkt sehen können, was international diskutiert wird.“ So etwas wie eine erlebbare Zeitschrift? „Ja, in etwa.“
Tatsächlich erscheint es aus heutiger Perspektive wie ein Wunder, dass diese spätmoderne Version eines Architektursalons just im geteilten Berlin etabliert wurde. Einer Stadt, die in Sachen Architektur stets so naiv selbstgewiss agierte, als gäbe es keinerlei Referenzpunkte wie New York, London oder das bereits in den 80er-Jahren erstarkende Japan und China.
Und dass Kristin Feireiss angesichts dieses gesellschaftlich-kulturellen Klimas nicht irgendwann die Flinte ins Korn warf. Wer das sehr empfehlenswerte Buch „Faces & Spaces“ (Park Books) durchblättert, mit dem Feireiss und ihr vierter Mann und „Komplize“ Hans-Jürgen Commerell 2020 das 40. Jubiläum von Aedes gefeiert haben, bekommt eine Ahnung davon, wofür diese moderne Salonière der Baukunst ihre Orden erhalten hat. Auf den Vernissagen von Aedes schauten die Architekten-VIPs der Welt in Berlin vorbei. Von Sir Norman Foster bis Rem Koolhaas, von Frank O. Gehry bis Tadao Ando. Oder wie David Chipperfield es anlässlich dieses Geburtstags formuliert: „Meine eigene Karriere und die meines Berliner Büros würden wahrscheinlich gar nicht existieren ohne ihre Ermutigung über all die Jahre hinweg. Kristin Feireiss war selbstlos und genuin großzügig, indem sie Berlin mit Architekten und Architektinnen in der gesamten Welt verbunden hat.“
Denn als Frau sorgte Feireiss dafür, dass auch die hochbegabten Frauen der Branche ihren großen Auftritt hatten, lange bevor alle Welt den Neo-Feminismus ausrief und sich auch in hartleibigen Branchen wie der Architektur das Blatt langsam wendete. Nur ein Beispiel: Die allererste Aedes-Ausstellung von Zaha Hadid war 1984. Zwei Jahre später folgte eine zum Thema „Wettbewerb Adenauer Platz“. Deren Entwürfe sollte man sich heute vielleicht noch mal genauer ansehen.
Und mittendrin, nie im Vordergrund, dafür ganz oft über den Scherz eines Eröffnungsredners lachend: sie, die mit ihrem getreuen Team das alles organisiert hat. Wer mit Kristin Feireiss (sie behielt den Namen ihres zweiten Mannes um des Sohnes willen) zu tun hat oder mit ihr spricht, merkt es auch sofort: Diese Frau ist viel mehr Motor als Muse. Von ihr geht eine unangestrengte Energie, ein Flow und Can-do-Spirit aus, der andere mitnimmt, auf komplett unaggressive Art herausfordert und inspiriert. Metaphorisch gesagt: In einem Gespräch mit ihr rasten die kommunikativen Rädchen genau dort und genau dann ein, wenn es am zukunftsträchtigsten ist. Klack-klack-schnurr, schon ist da eine neue Idee. Oder wenigstens der Lichtschein einer möglichen Lösung für ein vertracktes Problem.
Hamlets „See von Plagen“, also das Menschenleben wie es nun mal ist auf diesem Planeten, hat in Kristin Feireiss eine meisterliche Skipperin gefunden. Denn auch wenn ihre stets fröhliche Aura anderes vermuten ließe: Sie ist immer wieder durch schwere Stürme gegangen. In einem Muthesius-Haus an der Rehwiese im Berliner Westen wurde sie geboren, als drittes Kind von Hans und Mady Lang, die eine geborene Neckermann war. Als ihre Eltern und ihr älterer Bruder 1948 bei einem Autounfall ums Leben kamen, kam sie in die Obhut ihres Onkels, des umstrittenen Versandhauspioniers und Dressurreiters Josef Neckermann. Worauf es wirklich ankommt im Leben, hätte sie aber ihre Großmutter in Würzburg gelehrt: „Offenheit und das Menschliche.“
Reiten kann sie übrigens nicht. „Das hätte mich als Kind in der Familie Neckermann zu sehr in Vergleichsnotstand gebracht“, sagt sie. „Ich mag Pferde wirklich, aber neben dem Unternehmen waren sie das zweite große Familienthema. Und der Wahlspruch meines Onkels, beim Sport und überhaupt, lautete: Verlieren beginnt beim zweiten Platz.“ Stattdessen machte sie als Kind erst Ballett und dann Eiskunst- und Rollschuhlaufen. Ein unabhängiger Geist eben.