Mit der Kamera im Frauenvollzug: „Jede einzelne muss ihre Würde haben!“

Die Berliner Fotografin Victoria Tomaschko stellt eine neue, sehr besondere Langzeitserie vor. Sie porträtierte Frauen in Haft.

Entstanden bei Victoria Tomaschkos Foto-Workshop in der JVA mit Bezug zu Gemälden  Alter Meister: Modell  ist hier „Jaqueline“
Entstanden bei Victoria Tomaschkos Foto-Workshop in der JVA mit Bezug zu Gemälden Alter Meister: Modell ist hier „Jaqueline“Victoria Tomaschko

Alte Feuerwache Friedrichshain, unmittelbar vorm Weltfrauentag. Riesengedränge der Fotofans. „Vollzug“ heißt diese Ausstellung zum Europäischen Monat der Fotografie in Berlin.

Seit Jahren hat die Kreuzberger Fotografin Victoria Tomaschko im Frauenvollzug der Justizvollzugsanstalten Berlins Insassinnen und auch deren Betreuerinnen porträtiert: Sozialarbeiterinnen, Sportbeamtinnen, Psychologinnen in deren oft nicht einfachem Arbeitsalltag. Letztere sind zur Eröffnung gekommen, einige „Freigängerinnen“ durften es auch. Sie gucken heimlich auf ihre Armbanduhren. Jetzt ist es nach 18 Uhr. In knapp drei Stunden müssen sie zurück sein in ihren Anstaltsdomizilen, verteilt auf Reinickendorf, Pankow, Lichtenberg, Neukölln. Auch die junge „Rose“, die in Kürze, sobald sie wegen guter Führung vorzeitig entlassen wird, ein neues Leben beginnen und ihre Lehre zur Handelskauffrau abschließen will.

Sie hat sich schön gemacht, sorgfältig geschminkt, das lange dunkelblonde Haar glänzt. Ein wenig schüchtern, aber stolz steht sie vor ihrem Porträt. „Die Haft hat mich und so viele andere Frauen verändert. Und Victoria Tomaschko gibt uns mit diesen Porträts Würde, Selbstsicherheit, Mut, das Vergangene hinter uns zu lassen“, sagt Rose und fügt hinzu, dass sie gerne junge Leute davon abhalten möchte, die gleichen verhängnisvollen Fehler zu machen wie sie.

Welche, spielt in dieser Porträtschau keine Rolle. Seit Jahren schon richtet die 1978 in Rostock geborene Victoria Tomaschko ihre Kamera mit Empathie und zugleich strenger formaler Konzentration auf soziale, auf prekäre gesellschaftliche Themen. Und ihre Bildnisse vornehmlich von Frauen sprechen eine eindringliche Sprache. „Das Leben ist oft eine Lotterie, niemand kann sich aussuchen, in welches Milieu er hineingeboren wird, ob er geliebt, gefördert oder aber vernachlässigt wird, in schlechte Gesellschaft gerät. Mich interessieren nicht die Perfekten, Makellosen“, sagt sie. Ihre Neugier, ihre Einfühlung, ja, ihre fotografische Obsession gilt den Gestrauchelten, den Konfliktbeladenen – und denen, die diesen hingefallenen Menschenkindern mit  liebevoller Konsequenz wieder aufzuhelfen versuchen. Freilich kennt die Fotografin die Hintergründe, warum diese Mädchen und Frauen in Haft gerieten, oft wegen wiederholter Drogendelikte, Beschaffungskriminalität, Diebstahl, Betrug. Manche auch wegen weit kapitalerer Verbrechen.

Vor acht Jahren bekam die Fotografin den IBB-Preis für Fotografie für ihre außergewöhnliche Serie von jungen Müttern mit ihren Babys in Haftanstalten. Eine schier unvorstellbare Situation. Schon damals stand für Tomaschko dies an erster Stelle: „Bei aller Strenge des Bildaufbaus ist das Wichtigste der Respekt vor der einzelnen Person.“ Seither entwickelte die Berlinerin von der Waterkant eine Bildsprache, die in den schnörkellosen Porträts universale soziale Probleme aufscheinen lassen. Zugleich aber ist ihr  erstes Gebot: „Egal, was diese Frau ins Gefängnis gebracht hat, sie ist ein Mensch, der Würde verdient!“

Entstanden bei Victoria Tomaschkos Foto-Workshop in der JVA mit Bezug zu Gemälden  Alter Meister: Modell  ist hier „Jessica“
Entstanden bei Victoria Tomaschkos Foto-Workshop in der JVA mit Bezug zu Gemälden Alter Meister: Modell ist hier „Jessica“Victoria Tomaschko

Die Fotografin, selbst alleinerziehende Mutter, begibt sich jedes Mal wieder mit ihren aufwendigen, Kräfte und Zeit, vor allem viel bürokratischen (Genehmigungs-)Aufwand fressenden Langzeitprojekten auf den schmalen Grat zwischen dokumentarischer und künstlerischer Fotografie. „Ein Menschenbild“, erklärt sie mir vor ihren Bildern in der Friedrichshainer Galerie, „ist immer auch ein Weltbild“. Sie arbeite eng zusammen mit der Senatsabteilung Soziale Arbeit. Und so macht sie seit 2014, alljährlich immer kurz vor Weihnachten, Porträts von inhaftierten Frauen, jedes Mal so an die 60, 70 Aufnahmen. Und auch von deren Betreuerinnen, den Beamtinnen Era, Uta, Kerstin, Cindy, Vivien, Jasmin. Die blonde Sozialbetreuerin Odette führt in einer ärmellosen Bluse ihre tätowierten Oberarme vor und sagt über ihre Arbeit: „Für mich fühlt es sich nicht wie Gefängnis an, auch wenn ich im geschlossenen Vollzug arbeite.“

Die Bilder der Ausstellung haben alle fotografierten Frauen selber ausgesucht, auch die schmale Transfrau Clarisse, die in Haft – handschriftlich, ohne Laptop und Uni-Bücherei – über Adornos Erkenntniskritik promoviert. Einige gaben sich zu ihren Porträts fiktive Namen, vielleicht ein Schutzinstinkt. „Ich fotografierte sie, wie sie sich selbst gern zeigen wollten“, so Tomaschko. „Porträts sind etwas Intimes. Manche waren misstrauisch, unsicher. Wir reden vorher darüber; sie sollten mir ja vertrauen können.  Sie konnten sicher sein, dass ich alles für mich behalte, nicht auf Zetteln unter die Bilder schreibe, warum sie einsitzen. Ich fotografiere ihre Gesichter, ihre Posen, Mimik, Gestik. Manchmal gelingt es mir, das, was zwischen Kinn und Stirn passiert, die Gefühlslage, herauszustellen. Aber ich werte nicht. Geurteilt wurde ja längst vom Gericht.“

Die Aufnahmen von „Johanna“ etwa zeigen eine  schöne, verletzliche, in sich gekehrte Frau. Sie schreibt im Begleitbuch zur Ausstellung fast poetisch: „Der Baum des Lebens ist weiter als das unser Horizont-Ende je erreicht.“  Und die junge „Pabla“ vertraut dem Büchlein an, dass sie von einer eigenen Bäckerei träume, sobald sie in Freiheit sei.

Vor vier Jahren zog die Fotografin die Kostümbildnerin Katrin Hauer hinzu. „Ein wenig Aufwand musste schon sein“, sagt Tomaschko lächelnd, „Make-up, Lichtregie, Hintergrundinstallation“. Die Frauen sollten ihre Kreativität entdecken, sich gut fühlen und nicht etwa vorgeführt. Wie bei einem Shoot: „Die Gültigkeit der Porträts soll die Haftzeit überdauern. Darum verzichtete ich auf Anstaltsdetails, aufs Interieur.“

Entstanden bei Victoria Tomaschkos Foto-Workshop in der JVA mit Bezug zu Gemälden Alter Meister: Modell ist hier „Georgina“
Entstanden bei Victoria Tomaschkos Foto-Workshop in der JVA mit Bezug zu Gemälden Alter Meister: Modell ist hier „Georgina“Victoria Tomaschko

Bei einem Workshop ließen Tomaschko und ihre „Modelle“ sich von berühmten Frauenbildnissen der Kunstgeschichte  inspirieren. So entstand „Livia“, eine geheimnisvolle Rückenansicht, unübersehbar nach Gerhard Richters legendärem Porträt von dessen Tochter Betty. Und die ebenso rätselhafte „Jaqueline“, angetan mit einem Turban aus Blasenfolie. Bei diesem Anblick denkt man an das Gemälde „Das türkische Bad“ des Franzosen Ingres von 1863.  Und „Georgina“ wurde beim Workshop die Schönste, als sie sich als eine Art Samurai-Wesen drapierte.

Das Reale und das Dahinter, das eher Fiktive, das sind die zwei Seiten der Kunst Victoria Tomaschkos. Und es ist Fotokunst auf Augenhöhe mit den Porträtierten.

Victoria Tomaschko: „Vollzug“, Projektraum Alte Feuerwache, Marchlewskistr. 6, So–Mi 12–19, Do–Sa 12–20 Uhr. Bis 16. April, Eintritt frei. Am 18. März (Sa) ab 16 Uhr Führung /Gespräch mit Victoria Tomaschko