Hinterm Schwarz leuchtet das Licht der Welt: Zum Tod des Malers Pierre Soulages

Pierre Soulages, der große französische Avantgardist des „Outrenoir“, starb mit 102 Jahren. Was hat ihn so sehr an der vermeintlich dunkelsten Farbe fasziniert?

Pierre Soulages im Oktober 2010 in seiner Ausstellung im Berliner Gropius-Bau 
Pierre Soulages im Oktober 2010 in seiner Ausstellung im Berliner Gropius-Bau IMAGO/Eventpress Herrmann

Er war das lebende Beispiel dafür, dass Maler in der Regel sehr alt werden. Irgendetwas muss schon dran sein an der immer mal wieder totgesagten Königsdisziplin der Bildkunst. Pierre Soulages war der letzte Protagonist des Tachismus; das war die Bezeichnung für die französische Ausprägung des Informels der Nachkriegszeit – eine abstrakt gestische, zumeist auch lyrische Malerei, die sich dem damals übermächtigen Trend des amerikanischen Abstract Painting um Pollock, dem Kubismus und der geometrischen Abstraktion entgegenstellte.

Nun ist Pierre Soulages am 25. Oktober in Nimes gestorben, 102 Jahre alt. Gefährten seines Stils, so Hans Hartung, Serge Poliakoff und in Deutschland Emil Schumacher oder in den USA Ad Reinhardt, hatten schon lange vor ihm das Zeitliche gesegnet. Der promiske Kunstbetrieb unserer Tage scheint Soulages auch ein wenig vergessen zu haben. In Frankreich indes ist er eine Art Nationalheiliger. Seine „schwarzen Gemälde“ nämlich gehören zweifellos zum Radikalsten, was die Kunst der Moderne hervorbrachte.

Von Soulages stammt der Begriff „Outrenoir“ – das bezeichnet ein weit über das reine Schwarz hinausgehendes Schwarz, auf dessen dick und tastbar (taktil) gesetzten Oberflächen sich das Licht bricht und ein fast magisches Leuchten erzeugt. Steht man davor, ist es zunächst, als verschlucke dieses dichte Schwarz jede Lichtquelle. Aber dann, ganz sachte, beginnt dieses Schimmern, dieses Aufleuchten. Der Maler wird zum Poeten, der Verse zitiert, die in etwa sagen: Jenseits des Schwarz sind alle Farben der Welt.

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Im Soulages-Museum im südfranzösischen Rodez: Schwarze Strukturen und dahinter die Farben. So malte er seit Ende der 194oer-Jahre. In den späten 1970ern benutzte er nur noch Schwarz.
Im Soulages-Museum im südfranzösischen Rodez: Schwarze Strukturen und dahinter die Farben. So malte er seit Ende der 194oer-Jahre. In den späten 1970ern benutzte er nur noch Schwarz.dpa/Epa/Guillaume Horcajuelo

Soulages’ Karriere begann 1947. Da hatte er zum ersten Mal im Pariser Salon des Surindépendants ausgestellt. Im Jahr darauf war er schon in der ersten in Westdeutschland stattfindenden Wanderschau „Französische abstrakte Malerei“ dabei. Und eines seiner eigenwilligen Walnussbeize-Gemälde wurde zum Plakatmotiv: Zeichen auf Papier, sich kreuzende dunkle Streifen, die sich klar vom hellen Untergrund absetzen. 1955 lud Arnold Bode den Franzosen auf die erste Documenta nach Kassel ein. Noch waren die schwarzen Gitterstrukturen mit Gelb-, Rot- und Brauntönen kombiniert, die sich jedoch im Laufe der Jahre immer mehr verdichteten. Ein solches Motiv von 1957 gehört der Neuen Nationalgalerie Berlin. Das Monochrome ist mit breiten Spachtelzügen über die Fläche geführt, aber trotz der Vehemenz des Auftrags in kompositorischer Balance gehalten.

So um 1978 herum benutzte Soulages nur noch Schwarz, mit Spachtel, Bürste, Schaber grob auf die Leinwand gepackt, bis Furchen, Rillen, mitunter Schindeln ähnelnde Strukturen entstanden. Je nach Lichteinfall und Standort des Betrachtenden verändert sich die Wirkung: Das Schwarz der Textur ist, kaum zu glauben, tatsächlich wahrnehmbar als in Wellenlängen auftreffendes farbiges Licht.