Dialog mit dem Urgroßonkel
Aron Boks, Nachfahre des berühmtesten DDR-Malers Willi Sitte, schrieb ein Buch über den unbekannten Verwandten und stellt es in Berlin vor.

Aron Boks’ Buchtitel setzt schon mal ein Fragezeichen: „Nackt in die DDR“. Das Adjektiv „nackt“ muss eine Bedeutung haben, ein doppelte? Die Fährtensuche des jungen Autos nach seinem berühmten und umstrittenen Verwandten Willi Sitte ist unkonventionell, unvoreingenommen, auf erfrischende Weise kritisch, ohne moralisch zu werten.
Mit großer Neugier näherte er sich dem wohl strittigsten Maler der DDR-Kunstgeschichte. Sitte war der barocke Realist, ein als desertierter Wehrmachtssoldat zu den Garibaldi- Partisanen geflüchteter Kommunist, ein Utopist und später mächtiger Kulturfunktionär, von dem es im Volksmund hieß: „Lieber vom Leben gezeichnet, als von Sitte gemalt“.
Der Verlag Harper Collins brachte die Spurensuche des jungen Urgroßneffen des Malers aus Halle an der Saale, einst ZK-Mitglied und mächtiger Chef des DDR-Künstlerverbandes, heraus. Boks, geboren 1997 in Wernigerode, hat den 2013 im Alter von 92 Jahren gestorbenen Maler nie getroffen. Die Großmutter packte eines Tages das Gemälde „Heilige Familie“ auf den Tisch und sagte: „Hat mein Onkel gemalt!“
Gespräche mit Zeitzeugen
Doch zu einem Kontakt kam es nie. Zu weit „oben“ und zu weit weg für diesen Zweig der Familie war der zur DDR-Zeit zum „Staatsmaler“ aufgestiegene einstige Modernist, der in der Stalinzeit wie Picasso gemalt hatte, dafür als Formalist gemaßregelt worden war, dann nach zwei Suizidversuchen mit unverwechselbarem Power-Stil die historische Rolle des Proletariats auszudrücken wusste.
Die Neugier erwachte im Urgroßneffen um 2020. Inzwischen Autor, Slam-Poet und taz-Kolumnist in Berlin, begab er sich auf die Spur des legendären, umstrittenen Verwandten. Er recherchierte in Archiven, Museen, befragte Zeitzeugen wie Wolf Biermann, Weggefährten wie Gerhard Wolf und Volker Braun, Meisterschüler und Sitte-Sammler. Boks stellte sich immer wieder die Frage, was der Bruder seines Urgroßvaters, dieser künstlerische Repräsentant der samt der großen Vision untergegangenen DDR, mit ihm zu tun hat.
Das Fazit der 490 Buchseiten: Der junge Autor fügt das Bild des gefeiert-geschmähten Verwandten puzzleartig zu einem Ganzen aus Dokumentation und Selbstbefragung als Nachfahre. Er taucht ein in die in öffentlich und privat gespaltene DDR-Sphäre, lernt postum einen Künstler und politischen (Macht-)Menschen kennen, der, wie das 20. Jahrhundert, zerrissen war zwischen Ideal und Ideologie, der nach Anerkennung und Ruhm strebte und auf den Drang der Ostler nach Freiheit und Konsum bitter enttäuscht reagierte.
Buchpremiere am 28. Februar im Pfefferberg-Theater, Schönhauser Allee 176, Einlass 19.30 Uhr. Aron Boks’ Buch „Nackt in die DDR“ (Harper Collins) kostet 24 Euro.