NS-Raubkunst: Darf man ein Kunstwerk von seiner Geschichte reinwaschen?

Um diese Frage geht es in einer Klage eines Sammlers, der in gutem Glauben NS-Raubkunst erworben hat. Seine Motivation: Der Marktwert des Gemäldes.

Der Kunsthändler Max Stern, geboren 1904 in Mönchengladbach, gestorben 1987 in Paris
Der Kunsthändler Max Stern, geboren 1904 in Mönchengladbach, gestorben 1987 in ParisNational Gallery of Canada

Darf ein Kunstsammler verlangen, dass ein von ihm Jahrzehnte nach Kriegsende redlich erworbenes Gemälde aus einer Datenbank für NS-Raubgut gelöscht werden muss?

Mit dieser Frage wird sich am heutigen Donnerstag der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs befassen. Geklagt hat ein Sammler, der sein Grundrecht auf Eigentum durch den Eintrag des umstrittenen Bildes in das Lost-Art-Register des Magdeburger Zentrums Kulturgutverluste verletzt sieht.

Es geht um das 1861 entstandene Bild „Kalabrische Küste – Scilla“ des in Kassel geborenen Malers Andreas Achenbach (1815–1910). Das dramatische Sujet des Ölgemäldes – es zeigt mehrere Segelschiffe auf dem sturmumtosten Mittelmeer vor der sizilianischen Küste – mag als Sinnbild für den nun schon Jahre andauernden Streit um das Kunstwerk gelten.

Dabei geht es bei diesem Konflikt gar nicht um die Frage, ob das Bild an die Erben des einstigen jüdischen Eigentümers restituiert werden soll oder nicht; der jetzige Besitzer will lediglich erreichen, dass das Bild den „Makel“ der NS-Raubkunst verliert, damit es nicht an Marktwert verliert. Aber darf man ein Kunstwerk von seiner Eigentumsgeschichte reinwaschen?

Gegenstand des Streits ist das Gemälde „Kalabrische Küste – Scilla“ von Andreas Achenbach (1861).
Gegenstand des Streits ist das Gemälde „Kalabrische Küste – Scilla“ von Andreas Achenbach (1861).Privatsammlung

Deutlich unter Wert veräußert

Das Achenbach-Gemälde befand sich seit 1931 im Besitz der namhaften Düsseldorfer Galerie Stern, die der jüdische Kunsthändler Max Stern 1934 von seinem Vater übernahm. Ein Jahr später wurde dem damals 31-Jährigen von der Reichskammer der bildenden Künste die weitere Ausübung seines Berufs untersagt. Zwar wurde ihm die Frist zur Auflösung seiner Galerie mehrfach verlängert, aber Ende September 1937 musste er das Kunsthaus endgültig schließen.

Seit 1935 hatte Stern bereits damit angefangen, Teile seiner Sammlung zu verkaufen und den Erlös für ein späteres Exil ins Ausland zu überweisen. Im März 1937 veräußerte er schließlich auch die „Kalabrische Küste“ – aufgrund der gegen ihn gerichteten Repression allerdings deutlich unter Wert: War das Achenbach-Gemälde in einem Katalog von 1935 noch mit einem Verkaufspreis von 7000 Reichsmark ausgewiesen, erlöste Stern zwei Jahre später für dieses und ein weiteres Bild zusammen nur 4300 Reichsmark. Die Erben des 1937 über Paris und London nach Kanada geflohenen Kunsthändlers werten dies als Ausdruck seiner durch die NS-Verfolgung entstandenen Notlage, die ihn zur Veräußerung großer Teile seiner Sammlung unter Wert zwang.

Im März 1999 erwarb der Kunstsammler und Achenbach-Experte Wolfgang Peiffer das Bild „Kalabrische Küste“ beim Londoner Auktionshaus Philipps, und zwar – wie er behauptet – ohne von dessen fragwürdiger Provenienz damals gewusst zu haben. Erst im Sommer 2016 will er dann von einem Sprecher der Stern-Erben erfahren haben, dass das Bild zusammen mit rund 200 weiteren Kunstwerken aus der Sammlung Stern bei Interpol auf der Fahndungsliste steht. Einige Monate später meldete sich auch das Holocaust Claims Processing Office (HCPO) im Staat New York bei Peiffer und brachte eine Rückgabe des Bildes ins Gespräch.

Pfeiffer ignorierte das Schreiben. Denn nach deutschem Recht gibt es gegen Sammler, die NS-Raubkunst gutgläubig erwerben, keine gesetzliche Handhabe. In der Klage, die er 2019 vor dem Magdeburger Landgericht anstrengte und die in letzter Instanz nun vom BGH entschieden werden muss, geht es daher auch nicht um eine mögliche Restitution, sondern um den 2016 von den Stern-Erben veranlassten Eintrag des Achenbach-Gemäldes in die Lost-Art-Datenbank des Zentrums Kulturgutverluste. Hier sind vor allem Kunstwerke und Kulturgüter aufgeführt, bei denen laut Satzung „ein NS-verfolgungsbedingter Entzug vorliegt, dies vermutet wird oder nicht ausgeschlossen werden kann“.

Eigentumsanmaßung

Pfeiffer bezweifelt einen solchen verfolgungsbedingten Entzug im Falle der „Kalabrischen Küste“ und wirft in seiner Klage den Stern-Erben vor, mit dem Eintrag des Bildes in die Datenbank eine „Eigentumsanmaßung“ zu erheben. Damit solle er zur Herausgabe des Bildes oder zur Leistung einer Entschädigung veranlasst werden. Auch sei durch die Eintragung in die Datenbank das Bild nicht mehr veräußerbar, was seine Position als Eigentümer spürbar beeinträchtige.

Die Stern-Erben hingegen stellen fest, dass mit der Suchmeldung bei Lost Art keinesfalls das Eigentums Pfeiffers an dem Achenbach-Gemälde in Zweifel gezogen werde. Es würden damit nur historische Fakten, Verlustumstände und weitere Informationen zur Provenienz des Bildes mitgeteilt, die Pfeiffer im Falle eines Verkaufs ohnehin offenbaren müsste. Mit der Suchmeldung ginge allerdings auch der Appell an den Eigentümer einher, sich auf eine Verständigung mit den Erben einzulassen, nachdem es für Restitutionsansprüche keine Rechtsgrundlage mehr gebe.

Sowohl das Magdeburger Landgericht als auch die Berufungsinstanz, das Oberlandesgericht Naumburg, wiesen die Klage Pfeiffers auf Löschung des Datenbankeintrags ab. Die zutreffende sachliche Information über den begründeten Verdacht eines NS-verfolgungsbedingten Verlustes sei „unter keinen Umständen als Eigentumsbeeinträchtigung zu betrachten“, so die Richter. Schließlich hafte dem Bild ein marktrelevanter Makel an, den der Besitzer nicht verschweigen dürfe. Im Gegenteil biete die Veröffentlichung in der Datenbank dem Eigentümer die Möglichkeit, durch eine gerechte und faire Verständigung mit den Stern-Erben „sein Gemälde von dem Makel, mit dem er es erworben hat, zu befreien“. Das beeinträchtige nicht sein Eigentum, so das OLG, sondern biete sogar die Gelegenheit, es aufzuwerten.

Richtungsweisende Entscheidung

Aus Sicht des Berliner Anwalts der Stern-Erben geht das zu erwartende BGH-Urteil über den Einzelfall hinaus. „Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob man die Umstände des historischen Verlusts auch gegen den Willen desjenigen publizieren darf, in dessen Sammlung sich das Werk heute befindet“, sagt Rechtsanwalt Ulf Bischof. „Darf Lost Art über einen Raubkunstverdacht informieren, obwohl sich der Besitzer und potenzielle Verkäufer daran stört? Würde der Klage stattgegeben, hätte dies gravierende Auswirkungen auf die Funktion der Datenbank. Teile der Provenienz vieler Kunstwerke blieben der Öffentlichkeit damit vorenthalten.“