Kippenberger: „Du kannst dich benehmen wie ’n Arschloch, sollst aber keins sein“
War er der Anti-Beuys? Martin Kippenberger wäre nun 70 geworden. Zwei Berliner Galerien erinnern an einen der skandalträchtigsten Maler der alten Bundesrepublik.

Zu seinem Fünfzigsten war Martin Kippenberger nicht mehr physisch dabei. Nun gibt’s auch zum Siebzigsten keine Trink-Orgie, keinen Jazz, keinen Tanz über die Tische der Paris-Bar in der Kantstraße oder im Club SO36. Die einstigen Jünger gehen ganz brav in die fulminanten Bilderschauen ihres Freundes, Kumpels oder Idols; in zwei Berliner Galerien.
Der malende Eulenspiegel hatte sich schon 1997, sieben Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung, zu Tode gemalt, gefeiert, gequalmt und um seine Leber gesoffen. Wenige Tage nach seinem frühen Tod hatte Berlin ihm noch den Käthe-Kollwitz-Preis zugedacht; ihm, der er Kunst und Leben nicht trennte, dessen Bilder quasi alles verhöhnten, was man etabliert, saturiert nennt, die heuchlerischen Politiker, Kleriker und die Spießer, den nie richtig aufgearbeiteten Nazismus der deutschen Nation. Und weil sie den im verblasenen Kunstbetrieb überstrapazierten Geniekult lächerlich macht.
Nun, wo er am 25. Februar Siebzig wäre (was für solide lebende Maler-Berühmtheiten der Moderne eigentlich noch kein Alter ist, man nehme nur die über 90-Jährigen Picasso, Gerhard Richter, Jasper Johns, Otto Götz und andere uralt gewordene Barden der Zunft), erinnern gleich zwei große Berliner Galerien an Martin Kippenberger (1953–1997). Wir erleben jetzt in den Global-Player-Galerien Hetzler und Capitain den Bilderkosmos dieses Unsteten, für dessen Selbstporträts und wüste Wort-Gemälde Sammler hohe Summen hinlegen. Und immer wieder ist das bis heute die Frage: Was war er eigentlich: Maler? Autor? Musiker? Trinker? Sarkastischer Selbstinszenierer? Bürgerschreck? Medienhansdampf?

Er war von allem etwas. Mit krassem Humor, der empfindsame Gemüter aufbrachte. Mal gab er den Radaumacher, mal den Lebemann, mal den verstörenden, unverzeihlich verletzenden Chauvinisten, leider gerade in Bezug auf Frauen und auf „Schwuchteln“, mal den alles vernetzenden Spiderman. Er konnte alles und verwurstete Sämtliches, was in der Kunst der Expressionisten, der Pop- und Street-Art, bei Dada und Fluxus schon mal da war. Und er erfand alles für sich neu und vor allem jenseits des tradierten Kunstbegriffs vom Lukullischen. Der Alles-Macher, der Beuys trotzig ins Gegenteil verkehrte mit dem Satz „Jeder Künstler ist auch ein Mensch“, stammte aus Dortmund, studierte im Hamburg, mischte West-Berlin auf – und starb elend in Wien. Er war widersprüchlich, hat im Leben und in der Kunst gebrannt, wie die Ketten seiner Zigaretten. Jeder Tag seines Lebens Arbeit mit Party und umgekehrt; und jede Sause war Stoff, Werkstatt und Bühne für neue Bilder.
„Heute denken – morgen fertig“, das war einer seiner bekanntesten Sprüche. So heißt auch der Ausstellungsteil der Charlottenburger Galerie Hetzler, und es ist der Titel des, nennen wir’s das „Leitgemälde“: eine knallrote schiefe Ebene, darauf stapft und tänzelt eine roboterartige Gliederpuppe, die in einer eisblauen Raucherwolke einen Text deklamiert. Links unten ein surreales, grünes, wohl fleischfressendes Pflanzengebilde.
Eindeutigkeit hasste Kippenberger, aber Handwerk war ihm wichtig. Egal, ob er nun im Jahr nur vier oder vierzig Bilder malte. 1984 entstand „Nieder mit der Inflation“. Zweifellos ein Selbstporträt. Er steht mit Jackett und Schlips, aber frivol runtergelassenen Hosen neben einer Leinwand, auf der ein völlig obskurer Proktologen-Stuhl zu sehen ist. Man hört ihn gleichsam sagen, was ein Kernsatz von ihm war: „Du kannst dich benehmen wie ’n Arschloch, sollst aber keins sein.“

Mein Lieblingswerk in der Galerie Hetzler ist ein ringelsockig bemaltes Ofenrohr auf einem Podest, Titel „Jazz, Dance, Case“. Mir fällt der Vers eines viel verlachten Dadaisten aus DDR-Zeiten ein: „Im Winter lag auf der Straße ein Ofenrohr. Und fror. Das arme, arme Ofenrohr.“ Nonsens und Doppeldeutigkeit waren bei Martin Kippenberger Methode. Provokation war ihm Gaudi. Seinerzeit machte er sogar die Kunstkritiker ratlos. Denn er raunzte sie an, dass er gar kein „Künstler“ sei. Und dann diktierte er ihnen in den Block: „Ich bin eher ein Vertreter. Verkaufe und vermittle Ideen. Ich bin doch viel mehr für die Leute als einer, der Bilder malt!“ Und weil er selbst bis zum Hals im Kunstzirkus drinsteckte, inszenierte er ein Spottgewitter über sich selber. Am „Ende der Avantgarden“ bleibe dem Künstler nur noch „ Weiterlaufen, Mithalten, Durchhalten“.
In der Galerie Capitain Petzel an der Karl-Marx-Allee, nahe dem Alexanderplatz, mündet der ganz Kippenberger’sche Anarchismus unter dem Titel „Heavy Burschi“ (schwere Jungs) aus langen Bilderreihen zum „fortgeschrittenen Verwertungsstadium“. So weist ein schwarzer Linienkopf und darunter eine Doppelreihe von Schnapsflaschen hin zu einem sperrigen Holzcontainer. Der ist vollgemüllt mit aggressiv zerstörten Leinwänden, zerbrochenen Rahmenleisten, Ölfarben- und Lack-Klumpen.
Die Installation eines Vandalen-Aktes, der alles Reden, Schreiben und Handeln und Politisieren mit Kunst absurd und lächerlich erscheinen lässt. Jetzt ist mir klar, wieso Kippenberger bis zum Fall der Mauer nicht in die DDR einreisen durfte. Der Mann war gefährlich, wäre ein Aufwiegler gewesen in einem Land, in dem die Kunst der Staatsräson zu dienen hatte. Also schickte „Kippi“ seine Pamphlete zur Lage der Nation aus West-Berlin per Mail-Art an Freunde nach Ost-Berlin und Leipzig. Die Stasi ließ die Provokationen besorgt aus den Postsäcken fischen, steckte alles in Giftschränke.

In dieser Geburtstags-Doppelausstellung wird klar: Kippenberger nahm es mit Malerei, Grafik, Skulptur und Fotografie, mit Installation, Montage, Schrift spielend auf. Nichts war dem Alles-Verwerter zu banal oder zu kitschig, um es zu Kunst umzuwursten. Das Stillose war sein Stil. Unbekümmert, dreist, höhnisch schüttelte er Naives und Intellektuelles, Hässliches und Schönes, Ruppiges und Pathetisches, Gegenständliches und Abstraktes durcheinander. Wie nötig hätte -außer dem Chauvi-Gehabe natürlich - der heutige Kunstmarkt mit seinen gefälligen oder verkopften Offerten doch heute solche Nervtötereien.
Doppelschau für Kippenberger: Galerie Capitain Petzel, Karl-Marx-Allee 45 (Mitte), bis 18. Februar, Di.–Sa. 11–18 Uhr. Galerie Max Hetzler, Goethestr. 2/3 (Charlottenburg), bis 25. Februar, Di.–Sa. 11–18 Uhr