Hinter den Wolken: Das Museum Barberini wird zum Wallfahrtsort für Sonnensucher
Das Museum versammelt von Gemälden alter Meister bis zu zeitgenössischer Gegenwartskunst Werke aus 60 Museen, die sich mit Sonne und Licht auseinandersetzen.

Könnte Galileo Galilei diese spektakuläre Bildersammlung voll Sonnenlicht 2023 sehen, würde er sich wohl bestätigt und getröstet fühlen: Für all die Ungemach, die Schmach, auch den inquisitorischen Prozess, den er durchstehen musste, als er, der italienische Universalgelehrte und Kosmologe des Barockzeitalters, Kopernikus’ heliozentrischem Weltbild folgte. Demnach drehte sich die Erde bekanntlich um die Sonne – nicht umgekehrt. Kopernikus’ wissenschaftlicher Standpunkt war Ketzerei in den Augen der römischen Inquisitoren, denen nicht mal der Papst zu widersprechen imstande war. Galilei war gezwungen, seiner Weltanschauung abzuschwören. Die Legende besagt, er habe dabei gemurmelt: „Und sie bewegt sich doch!“ Der Ausspruch wurde zum geflügelten Wort unter Oppositionellen in diktatorischen Regimen.
Es ist nun nicht so, dass die Besucher der Ausstellung „Sonne. Die Quelle des Lichts in der Kunst“ im Potsdamer Museum Barberini direkt mit dem 1632 beginnenden Ideologiestreit konfrontiert würden. Dem Kurator Michael Philipp geht es schließlich zuvörderst um das Licht. Und um die Frage, wie es in die Kunst kam. Die kunstgeschichtlichen Belege dafür kommen per Leihgaben aus über 60 europäischen und US-amerikanischen Museen und Privatsammlungen.
Insbesondere Malerei wird dabei geradezu zeremoniell inszeniert: auf tiefweinroten, magentafarbenen oder blauen Wänden. Vor diesem Hintergrund schwingen im Blick auf die Bilder all die Mythen und wissenschaftlichen Erkenntnisse ums Verhältnis von Sonne, Licht und Erde zusammen. Zu sehen sind 130 Werke klassischer, moderner, aber auch zeitgenössischer Künstler, die sich mit der Sonne und ihrem Wachstum ermöglichenden, heilenden, aber auch zerstörerischen Strahlen befasst haben: Sonia Delaunay, Otto Dix, Albrecht Dürer, Olafur Eliasson, Adam Elsheimer, Max Ernst, Caspar David Friedrich, Joan Miró, Claude Monet, Edvard Munch, Odilon Redon, Peter Paul Rubens, Katharina Sieverding, William Turner.

Das zentrale Sonnengestirn dieser Ausstellung bildet Monets Gemälde „Impression, Sonnenaufgang“ von 1872. Es gab der Licht-Malerei, sprich dem Impressionismus, seinen Namen. Über einer rötlich flirrenden Wasserlandschaft steht die glutrote Scheibe der Morgensonne – der sprichwörtliche Brennpunkt dieser Komposition. Das Werk verbildlicht die Quelle allen Lichtes, auch wenn sich die Lichtquellen von Feuern und Öllampen über Gaslaternen, Glühbirnen, Neonleuchten bis zur heutigen Halogen-, LED- und Laser-Technik fraglos radikal gewandelt haben.
Monets Gemälde aus dem Pariser Musée Marmottan gehört zu den Bildern, die in der Regel kaum ausgeliehen werden. Nun kommt das Barberini, dessen Gründer Hasso Plattner ein passionierter Monet-Sammler ist, für zwei Monate doch in den Genuss. Und wie zu erwarten steht das sonnenhungrige Publikum nach den grauen Wintermonaten geduldig Schlange für diese Art der Sonnenanbetung auf Leinwand.
In der Kunst spielte das Sonnenlicht eine zentrale Rolle, als Zeichen göttlicher Mächte, als mystische Kraft in Sagen und Legendenerzählungen, als atmosphärisches Element in Landschaftsbildern. Und als eigenständige Wirkmacht der Farbe in der Moderne. „Von der Sonne, glaube ich, wirst du die Bestimmung finden, dass sie das Leuchtendste ist von den am Himmel um die Erde wandelnden Gestirnen“, schieb einst Platon, der vom kopernikanischen Weltbild noch nichts wissen konnte.

Auch in Rubens „ Sturz des Phaëton“, 1604/05, aus der National Gallery Washington, stürzt der ungehorsame Sohn des Sonnengottes Helios mit dessen Streitwagen in einem himmlisch gleisenden Leuchtstrahl ab und löst damit letztlich eine Katastrophe aus. Caspar David Friedrichs „Weidengebüsch bei tiefstehender Sonne“,1832/35, aus dem Frankfurter Goethe-Museum, zeigt eine dunstige Sonne, von der man nicht weiß, ob sie gleich verschwinden wird, statt der winter-starren Landschaft mit kahlen Bäumen durch wärmendes Strahlen neues Leben zu spenden. Fast elegisch fällt William Turners „Mortlake Terrace“, 1827, aus der National Gallery Washington, mit einem matt sonnengelben, unseren Blick sanft streichelnden Himmel aus.

Umso intensiver geht es auf Félix Vallotons orangenem „Sonnenuntergang“ zu aus dem Jahr 1910. Arthur G. Doves „Rote Sonne“ von 1932 scheint als Spiral-Ball auf die Erde zuzurasen. Und Katharina Sieverdings Video sengender, glühender Nasa-Aufnahmen des Sonnenballs vermittelt ein Gefühl der Gefahr, die in diesem faszinierenden Schauspiel steckt. Bei Max Ernst ist die Sonne ein Mysterium, bei Sonia Delaunay ein orphisches, beinahe prismatisches Farbwunder. Olafur Eliasson fängt das Sonnenlicht mit vielfach reflektierenden Spiegeln ein. Beim melancholischen Expressionisten Edvard Munch scheint die Sonne gar Schreie auszustoßen. Und Joan Miró machte sie, wie ein Kind, einfach zu einem knallroten, lustigen Klecks, oben rechts über einem seiner gliederfüßigen Strichmännchen.

Sonne. Die Quelle des Lichts in der Kunst. Potsdam, Barberini, Alter Markt, Mi.–Mo., 10–19 Uhr, bis 11. Juni. Die Ausstellung ist eine Kooperation mit dem Pariser Musée Marmottan.