Gäbe es in Putins Reich noch so etwas wie Normalität, dann würde sich jetzt der internationale Kunstbetrieb in die Säle der Tretjakow-Galerie drängeln, wie bereits achtmal zuvor. Dort waren neben junger russischer Kunst immer Werke aus aller Welt zu sehen. Anerkannte Autoritäten der internationalen Kunstwissenschaft hatten kuratiert, etwa Hans Ulrich Obrist, Peter Weibel, Catherine de Zegher, Jean-Hubert Martin.
Nun gibt es keine neunte Moscow International Biennale für zeitgenössische Kunst. Topsecret war das Großevent zwar vorbereitet worden, im Kreml wuchs erst der Argwohn, dann die Paranoia. Die Beiträge aus wenigen anderen Ländern und auch die russischen könnten kritisch sein, vor allem wegen des Ukraine-Kriegs. Diese Angst war auch mit den Beiträgen der erst jetzt bekannt gewordenen anonymen Liste mit 27 „patriotischen“ russischen Teilnehmern nicht zu bannen. Ebenso nützte es nichts, dass die als linientreu geltende Biennale-Leiterin Julija Musykantskaja den international renommierten Direktor der Petersburger Eremitage, Michail Piotrowski, mit ins Boot geholt hatte.
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Die Absage des russischen Kulturministeriums besagt, „dass eine Reihe von Exponaten dem Niveau des Ausstellungsorts Tretjakow-Galerie absolut nicht entsprechen“ würden. Ein Eingeständnis ideologischer Gründe! Moskaus bedeutendstes Staatliches Museum begründet die peinliche Zensur euphemistisch mit der „Nichterfüllung vertraglich vereinbarter Fristen“. Nebenbei verwies man auf die von Präsident Putin dekretierte „erhöhte Bereitschaft im Kontext eines partiell ausgerufenen Kriegsrechts“. Auch „bestimmte Überprüfungsmaßnahmen in föderalen Schutzorganen“ seien nicht durchgeführt worden. Klar formuliert: Der Autokrat und sein Machtapparat trauen weder der Kunst noch dem Biennale-Personal ideologisch über den Weg.
Welche Farce, dass diese abgesagte 9. Biennale jetzt digital zu sehen sein soll – und mit ausschließlich opportunen Werken.