Es ist vielsagend, wenn eine bedeutende Künstlerin in der Stadt, in der sie lebte und studierte, Jahrzehnte auf eine umfassende Werkschau warten muss. Seit Kurzem nun zeigt die Städtische Galerie Dresden eine solche Werkschau der Künstlerin Angela Hampel, die so bedeutend für die Kunstszene der Stadt war und ist. Die Ausstellung fokussiert dabei auf Malerei. Parallel lässt sich im Projektraum Neue Galerie, die im selben Haus angesiedelt ist, Hampels Druckgrafik erkunden.
Hampel gehörte in den 1980er-Jahren zu den jungen Repräsentantinnen eines Neoexpressionismus, der mit ausdrucksstarker Malerei von sich reden machte. Interessant ist ihre Biografie, weil sie in gewisser Weise „DDR-typisch“ ist und mit Konventionen von Weiblichkeit bricht: Denn Hampel arbeitet zunächst als Forstfacharbeiterin und Kraftfahrerin, bevor sie in Bautzen die Abendschule besucht und schließlich von 1977 bis 1982 an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden studiert.
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Ost-Kunst, die klassische Frauenbilder widerlegt
Gleichsam wie ein Befreiungsschlag, wie ein mächtiges künstlerisch-politisches Statement wirken ihre Arbeiten der 80er in der Rückschau, vor allem wenn man bedenkt, dass diese Jahre in der DDR heute allgemein für Stillstand und Zerfall stehen. Kaltes Blau, aggressives Rot und giftiges Grün prallen in diesen Farbwelten aufeinander, und dennoch wirkt das Personal der Bilder Hampels seltsam unberührt vom Clash der Farben. Beinahe immer sind es Frauenfiguren, bisweilen im Verbund mit Tieren (gleichsam wie Totems oder Liebhaber), die Hampel ins Zentrum rückt. Es sind mythologische Figuren vom Schlage einer Medea, Kassandra oder Penthesilea: rebellische Frauen, die die klassischen Bilder von Weiblichkeit widerlegen.
In Kalt-Warm-Kontrasten zum höchsten Ausdruck gesteigert wirken die Frauen in Hampels Werk wie Blitze, wie Gewitter. Diese Frauen sind Ereignisse. Zugleich sind sie ganz anders als gedacht. Hampels Medea hält ihr Kind verkrampft in den Händen, körperlich wirkt es wie mit ihr verwachsen. Der spitze Dolch, den sie hinter ihrem Rücken führt, könnte ebenso gut sie selbst durchbohren. Ihr Blick gilt nicht dem Kind, wirkt seltsam in sich gekehrt, beinahe madonnenhaft. Sieht so eine Kindsmörderin aus?
Medea wird nicht als Kindsmörderin, sondern vielmehr als Patriarchat-Gegnerin gedeutet. Das erinnert an die Interpretation von Christa Wolf aus den 80er-Jahren. Entlang der Heldin der griechischen Mythologie ließen sich Zeitfragen von Emanzipation, Feminismus und Patriarchatskritik verhandeln. Das Heraustreten aus dem zeitlichen Zusammenhang und das Eintreten in eine überzeitliche Dimension dieses Geschlechterkampfes entrückten die Kritik an den Verhältnissen zugleich dem Zugriff einer zensierenden Staatsmacht.
Denn DDR-Künstlerinnen, die sich dem Geschlechterkampf anstelle des – vermeintlich übergeordneten – Klassenkampfes zuwandten, galten rasch als selbstbezogen und Gegnerinnen der sozialistischen Sache, wie Birgit Bockschweiger in ihrem Buch über Christa Wolfs Poetologie feststellt.
Mythologie und Geschlechterfragen
Die Geschlechterfrage mithilfe des Rückgriffs auf Mythologie und archetypische Darstellungen zu verhandeln, war zwischen den 70er- und 90er-Jahren für Künstlerinnen, nicht nur in Ostdeutschland beziehungsweise der DDR, naheliegend und zudem im zeitgenössischen Feminismus auch durchaus populär. C. G. Jungs Variante der Tiefenpsychologie, die nicht nur ein kollektives Unbewusstes propagierte, sondern auch universale Archetypen, lieferte ein Bild- und Symbolrepertoire, aus dem sich schöpfen ließ. Matriarchatsforschung ließ von Gesellschaftsformen fernab der patriarchalen Ordnung träumen. Zugleich handeln die Geschichten Medeas und Kassandras von Umbrüchen und konnten auch in dieser Hinsicht künstlerisch aktualisiert werden.
In der Wendezeit wird Angela Hampel zur Mitbegründerin der Secession 89. Dieser Zusammenschluss von 23 Künstlerinnen nahm bewusst auf die historische Secessionsbewegung des Fin de Siècle Bezug, für die allerdings gegolten hatte: für Frauen kein Zutritt. Im Manifest aus dem Jahr 1990 heißt es: „Wir wollen unserem schöpferischen Potential Ausdruck geben, denn die heutige Welt braucht die weibliche Wahrnehmungsweise aus weiblichem Identitätsgefühl heraus. Als geistiger Ansatz verbindet uns die These von der inneren Notwendigkeit als Grundlage künstlerischer Äußerung.“
Wer Identitätspolitiken für Teufelszeug der Gegenwart hält, der wird hier darin belehrt, dass marginalisierte Gruppen – wie eben Künstlerinnen der DDR-Zeit – stets auch die Identität als Bezugsrahmen aufriefen. Die Rede vom weiblichen Identitätsgefühl verortet die Gruppe zugleich in feministischen Diskursen, gewissermaßen den letzten Ausläufern des Zweite-Welle-Feminismus, der noch positiv auf das Konzept der Weiblichkeit Bezug nahm und dieses als natürlich deutete – obgleich er soziale Rollenzuschreibungen problematisierte.
In der DDR waren Frauen-Künstlerinnen randständig
Wenn ich von DDR-Künstlerinnen als marginalisiert spreche, dann meint das eine Marginalisierung in mehrfachem Sinne: Innerhalb des Kunstsystems der DDR waren künstlerische Positionen von Frauen häufig randständig – umso mehr, wenn sie sich nicht den klassischen Medien Malerei und Grafik zuwandten, sondern Performances, Videoarbeiten und Installationen schufen.
Befragt man die Bürger der ehemaligen DDR, welche ikonischen Werke und ihre Schöpfer ihnen in den Sinn kommen, so wird man sehr viel häufiger die Namen Werner Tübke oder Wolfgang Mattheuer als etwa Angela Hampel oder Cornelia Schleime hören. Auch das hatte systemische Gründe. Denn in einem Land, in dem es praktisch keinen privaten Kunstmarkt gab, bestimmte die Kultur-Nomenklatura, was gesehen und für gut befunden werden durfte. Allerdings waren auch die Avantgarden, die sich gegen das politische System stellten und Freiräume fernab der vom VBK (Verband Bildender Künstler) propagierten künstlerischen Leitlinien suchten, männlich dominiert.
Nach 1989 stand dann die gesamte Kunst- und Kulturproduktion der DDR unter Verdacht, künstlerisch irrelevant, jedenfalls nicht im Sinne einer deutsch-deutschen Kunstgeschichte von Bedeutung relevant zu sein; allenfalls noch wurden Positionen der politischen Widerständigkeit anerkannt. Es dürfte zudem kein Geheimnis sein, dass auch der zeitgenössische Kunstmarkt ein Frauenproblem, oder besser: ein Problem mit der Repräsentation der Arbeit von Künstlerinnen, hat. Denn Künstlerinnen müssen es schon zu einem sehr großen Namen bringen, damit man ihnen Einzelausstellungen und umfangreiche Retrospektiven widmet.
Angela Hampel hat nun ihre Ausstellung. Doch es gibt noch immer viel zu tun, bis Künstlerinnen, deren Arbeiten zu DDR-Zeiten entstanden, als Teil der gesamtdeutschen Kunstgeschichte begriffen werden.
„Angela Hampel. Das künstlerische Werk“, Städtische Galerie Dresden, Wilsdruffer Straße 2, bis 11. September. Zudem sind im anliegenden Projektraum Neue Galerie Angela Hampels Druckgrafiken zu sehen.