„Wir erleben, wie die Russen an die Stelle der Nazis getreten sind“

Mit seinem Projekt „Dau Freiheit“ wollte der Filmemacher Ilya Khrzhanovsky 2018 in Berlin Diktatur erlebbar machen. Nun zieht er einen fatalen Schluss.

Eine Szene aus Ilya Khrzhanovskys Film „Dau. Natasha“
Eine Szene aus Ilya Khrzhanovskys Film „Dau. Natasha“takacs filmproduktion

Diktatur als Erlebnispark? Im Jahre 2018 erregte ein Kunstprojekt die Berliner Öffentlichkeit, für das der russische Filmemacher Ilya Khrzhanovsky in der Mitte Berlins ein geschlossenes Lager errichten wollte. Mit „Dau Freiheit“, so das erklärte Ziel Khrzhanovskys, sollte Diktaturerfahrung erlebbar gemacht werden. Ein schauriges Spiel mit der Fantasie, Totalitarismus zum Mitmachen. Als Folie für sein aufwendiges Vorhaben diente Khrzhanovsky die Rückbesinnung auf das Leben des russischen Physikers und Nobelpreisträgers Lew Dawidowitsch Landau, der in der Stalin-Zeit in einer ähnlichen Versuchsanordnung wie der Dau-Kaserne gelebt hatte.

Das Berliner Dau kam nicht zustande. Trotz der Unterstützung durch zahlreiche Künstler wie Tom Tykwer und Marina Abramowitsch scheiterte es schließlich an Sicherheitsbedenken des Bezirks Mitte, eine Genehmigung wurde nicht erteilt.

Eine Art Schuldverschiebung

Auf beklemmende Weise hat Ilya Khrzhanovsky nun die politische Realität seiner künstlerischen Idee in Erinnerung gerufen. Im Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) wirft er ein Schlaglicht auf die Folgen von Putins Diktatur. „Denn wir erleben, wie Russen an die Stelle der Nazis getreten sind. Es schmerzt, dies zu sagen. Denn ich bin Russe. Jude und Russe. Nun sehe ich Taten der Russen, die an Taten der Nazis erinnern. Putin hat sozusagen die Deutschen von ihrem Gefühl der Schuld erlöst und diese Schuld nach Russland gebracht. Unsere Kinder und Großkinder werden fortan diese Schuld zu tragen haben.“

Ein Satz, der wegen der angedeuteten Schuldverschiebung niemanden unberührt lassen kann. Ilya Khrzhanovsky, 1975 in Moskau geboren, ist ein Sohn des Trickzeichners Andrei Khrzhanovsky, einem der führenden russischen Animationsregisseure, und der Enkel des Künstlers und Schauspielers Juri Khrzhanovsky. Wie sein Dau-Vorhaben hätte aussehen können, war 2019 in Paris zu erleben, wo es in zwei einander gegenüberliegenden Theatern sowie einer Ausstellung im Centre Pompidou umgesetzt wurde. Kunst, die jetzt von der beängstigenden Wirklichkeit überholt worden ist.