„Willkommen in der Datinghölle“: Wie ich zum ersten Mal online einen Mann suchte

Als unsere Autorin nach zwölf Jahren wieder Single wurde, wagte sie sich in die Welt des digitalen Datings. Ein Erfahrungsbericht.

Im freien Fall ins Unbekannte
Im freien Fall ins UnbekannteEmir Šehanović für die Berliner Zeitung am Wochenende

Im letzten Jahrzehnt gab es zwei Dinge, auf die ich, aus völlig unersichtlichen Gründen, stolz war. Erstens: Ich habe noch nie einen Döner gegessen. Zweitens: Ich habe noch nie eine Dating-App von innen gesehen. Was das über mich aussagt? Dass ich nicht gerne Fleisch esse wahrscheinlich und ziemlich sicher in einer Beziehung bin, oder es besser gesagt war. Spoiler-Alarm: Beides habe ich mittlerweile ausprobiert, und nach einem bin ich absolut süchtig!

Ich war zwölf Jahre lang in einer festen Beziehung. Zwölf Jahre! Das sind zwei Jahre länger, als es Tinder gibt. Das macht nach Adam Riese? Genau, ein Kennenlernen fernab von Matches und Super-Matches. Ganz old school, mit Blicken, einem schüchternen Lächeln, gefolgt von einem langen Gespräch, um sich anschließend das Taxi nach Hause zu teilen. Wir haben uns damals so was von analog kennengelernt, Mark Zuckerberg würde vom Stuhl fallen.

„Wo verbringst du am liebsten einen heißen Sommertag?“

Dass eine App solch ein Kennenlernen ersetzen kann, lag außerhalb meiner Vorstellungskraft. Und mit diesem Standpunkt hielt ich auch nicht hinterm Berg. Sobald das Thema Dating-Apps aufkam, war ich die Erste, die ihre Extraportion Senf dazugab. Ungeachtet dessen, dass ich meist die Einzige in der Runde war, die keinerlei Erfahrung auf dem Gebiet hatte. Aber wie sollte eine App die Aufregung, das Taxieren, das Pokern, den ersten Kontakt eines realen Kennenlernen ersetzen? Sagten Mimik, Gestik und ein Freundeskreis nicht mehr über eine Person aus als ein Foto und eine Antwort auf die Frage, wo du am liebsten einen heißen Sommertag verbringst?

Ich kenne diese Frage, weil ich mir vor einigen Tagen zum ersten Mal solch eine App runtergeladen habe. Eine gelbe, dessen Logo an eine Honigwabe erinnern soll. Denn plötzlich was sie da, die Neugier. Kann man ja mal ausprobieren. Wenigstens wollte ich mal wissen, was mich da drin erwartet. So wie damals, beim ersten Besuch im Berghain. Keine Ahnung, ob es mir dort gefällt, aber wenigstens mal den Laden von innen gesehen haben. Was soll schon passieren?

Erst mal passiert tatsächlich gar nichts. Meine anfängliche Aufregung wird innerhalb weniger Minuten zunichte gemacht. Das sind die Typen, die in einem Umkreis von fünf Kilometern von mir wohnen? Ich bin mehr als enttäuscht und kurz davor, Screenshots zu machen von dem angespannten Bizeps, den schlecht sitzenden Sonnenbrillen, den unzähligen Stand-up-Paddle-Boards und natürlich den vermeintlich „witzigen“ Beschreibungstexten. Das einzig Ansprechende, das auf meinem Handybildschirm erscheint, sind hier und da ein paar Hundewelpen, die stolz in die Kamera gehalten werden. Aber auch die swipe ich weg, ich bin kein Tiermensch. Bald entwickle ich eine derartige Routine im Nach-links-Wischen, dass ich prompt auch den ersten süßen Typen in die digitalen Jagdgründe schicke. Ciao. Schade! Wenn ich ihn zurückholen möchte, dann muss ich dafür bezahlen.

Wenn der Flirt in die analoge Welt übergeht, wird es spannend.
Wenn der Flirt in die analoge Welt übergeht, wird es spannend.Emir Šehanović für die Berliner Zeitung am Wochenende

Noch während ich mich mit den simplen Symbolen der App vertraut mache, fällt erneut der Groschen, und mir wird bewusst, dass ich hier gerade Männer aus Fleisch und Blut nach ihrem Äußeren beurteile. Und noch viel schlimmer – dass jemand auf der anderen Seite sitzt und das Gleiche mit meinem Profil tut. Willkommen im 21. Jahrhundert. Ich wusste doch, dass das nichts für mich ist. Ich will gerade das Handy weglegen, als Martin auftaucht. Martin ist 41 Jahre alt, sehr attraktiv, und hält sich offenbar nur einen Kilometer von mir entfernt auf. Immer noch unsicher im Umgang mit der App wische ich zum ersten Mal vorsichtig nach rechts. Und zack, ein Match! Ich habe ein Match. Mein erstes! Es fühlt sich an wie ein ikonischer Moment – das ist es also, von dem alle immer erzählt haben … das sogenannte Match! Natürlich absolute Anfänger-Euphorie.

Geht noch jemand auf WG-Partys?

Und was jetzt? Anscheinend muss ich Martin anschreiben, wieder eine dieser Regeln hier. Ist ja mein Beruf, das Schreiben, kann also nicht so schwer sein. Aber was genau schreibt man einem völlig Fremden, den man aufgrund seiner Oberschenkelmuskulatur und des süßen Lächelns kennenlernen möchte? Möchte ich ihn denn überhaupt kennenlernen? Oder ist das Ganze hier eh nur eine Art Spiel, für das man nicht mal vor die Tür muss. Ein Zeitvertreib auf Kosten der Gefühle anderer.

„Du bist der erste Typ hier, den ich nicht komplett kacke finde und somit meine erste Nachricht auf einer Dating-App.“ Ich probiere es mit Ehrlichkeit. Als Antwort bekomme ich ein: „Haha, ehrt mich, dass ich nicht total kacke bin. Herzlich willkommen in der Datinghölle!“

Es folgen noch ein paar Tipps seinerseits, das Ganze hier locker zu nehmen und ich selbst zu bleiben, zum Beispiel. Wir schreiben eine Weile, und ich finde die Vorstellung, dass wir nur einige Straßen voneinander entfernt sind, ziemlich prickelnd. Am nächsten Tag schreiben wir erneut. Es macht eine Zeitlang Spaß, dann verliere ich die Lust. Ich gucke mir auch keine weiteren Profile mehr an. Vielleicht mache ich es einfach doch wie damals und lerne, ganz ungezwungen, einfach mal wieder jemanden auf einer WG-Party kennen, denke ich. „WG Party? Wann warst du denn das letzte Mal auf einer WG-Party? Du bist 39!“, so die Antwort einer Freundin, nachdem ich ihr von meinen Dating-Plänen für die Zukunft erzählt habe. Fuck!

Martin meldet sich immer noch. Ich bin kurz davor, über meinen Schatten zu springen und ihn tatsächlich zu treffen. Vielleicht ist es ab dem Moment der Begrüßung ja doch nicht so anders als damals im Club. Bin ich zu romantisch für diese neue Art des Kennenlernens? Oder hab ich einfach nur Bammel, weil ich komplett aus der Übung bin?

Ich versuche, das Ganze nicht allzu ernst zu nehmen, ahne aber, wie frustrierend diese App-Welt werden kann, wenn man verzweifelt auf der Suche nach einer Partnerschaft ist. Derweil habe ich den Döner probiert – und ich liebe ihn! Denn manchmal ist das eben so mit Dingen, die man vorher nicht kannte, sie machen Lust auf mehr. Ich öffne die App und schreibe Martin: Lust auf 'nen Döner?


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