Bitteres Liebesglück: Wie ich auf die harte Tour lernte, verletzlich zu sein

Nach einer traumatischen Beziehung zeigt ein Besuch in der Notaufnahme unserer Autorin, wie sehr sie sich innerlich verschlossen hat. Der Bericht einer Öffnung.

Bitteres Liebesglück
Bitteres LiebesglückClémence Mira für die Berliner Zeitung am Wochenende

An einem Sonntagnachmittag in der Notaufnahme fragte mich der Bereitschaftsarzt: „Haben Sie viel Stress? Irgendeine hohe Belastung in Ihrem Leben?“ Er hatte mich gerade untersucht, denn mein Herz schlug beunruhigend heftig und unregelmäßig. Selbst wenn ich in Ruhe auf der Couch lag, polterte es wild vor sich hin. Das tat es schon länger immer mal wieder, aber an diesem Tag pochte es bis zum Hals. Ich atmete flach, musste immer wieder tiefe Atemzüge nehmen und war ziemlich beunruhigt, auch weil ich familiär vorbelastet bin. Die Sorge, es könnte sich um irgendein Herzproblem handeln, trieb mich schließlich ins Krankenhaus.

Da saßen wir also, ich im BH und doch vollständig entblößt von der Frage des Arztes. Schlagartig wurde mir bewusst: Die Ursache für meine physischen Herzensangelegenheiten waren womöglich emotionale. Ich war nämlich knallverliebt – und das schon seit einigen Monaten.

Was so schön klingt, war gleichzeitig ein echter Kraftakt, und offenbar brach sich mein innerer Konflikt nun körperlich Bahn. Endlich dämmerte es mir. Bei meiner Psychologin waren meine Bindungsängste nämlich durchaus eine besprochene Sache in vergangenen Sitzungen. Dass sie jedoch so hart mit meinem Wunsch nach Liebe und Verbindung konkurrierten, dass es mich sogar ins Krankenhaus verschlagen würde, war eine Überraschung.

„Ich liebe dich nicht mehr!“

Vorerst beruhigt, aber auch ziemlich ernüchtert verließ ich die Klinik und machte im Anschluss zwei Termine: einen für ein Langzeit-EKG, um körperliche Ursachen auszuschließen und einen weiteren bei meiner Therapeutin. Zuletzt hatte ich sie wegen einer merkwürdigen Gefühlstaubheit zu Rate gezogen. Nachdem mein Mann mich verlassen hatte, fühlte ich mich emotional leer. Auf sein vernichtendes „Ich liebe dich nicht mehr!“ reagierte ich lediglich mit stumpfem Achselzucken. Das war sogar mir suspekt. Schließlich zerbrach meine Ehe, zu der auch ein gemeinsames zweijähriges Kind gehörte.

Ich begann also eine Gesprächstherapie, die mein bräsiges Innenleben aufräumen sollte. Von Taubheit konnte bald keine Rede mehr sein, mit jeder Stunde kamen mehr Tränen. Ich beschwerte mich bei Frau S. darüber, dass sie mich nicht besser betreute. Meine Erwartung war schließlich, wieder glücklich zu werden. Zwar nicht mehr so gefühlsblind, aber doch bitte nicht kreuzunglücklich, voller Trauer wegen der zerbrochenen Familie, Angst vor noch mehr Gefühlen, Hilflosigkeit und Wut. „Gefühle“, antwortete Frau S. „die gibt es nur ganz oder gar nicht! Da können Sie nicht filtern, wie beim Online-Shopping.“

In diesen beiden Sätzen lagen nun sowohl die Antwort auf die Frage, warum meine Ehe zerbrochen war, als auch der Grund für meine Gefühlstaubheit und gleich noch der Ausweg aus dieser Misere: Fühlen. Und zwar alles! Ich lernte, dass mein Habitus als Eisprinzessin eine Bewältigungsstrategie war, um meine Bindungsängste zu unterdrücken. Ich begriff, dass ich Angst davor hatte, zu verletzlich zu sein, wenn ich voll und ganz auf jemanden vertraue. Nun hatte ich den Trennungssalat – er war sandig und bitter, aber immerhin nahm ich das jetzt wahr. Und als schließlich der Grund für meine Herzrhythmusstörungen in mein Leben trat, war ich entschlossen, emotional in die Vollen zu gehen.

Mein Feuer brannte auf einmal lichterloh

Der Funke war ziemlich energisch übergesprungen, mein Feuer brannte lichterloh für diese neue Liebe. Nach Bedarf ein bisschen Öl nachzugießen, um die Flammen noch höher schlagen zu lassen, das war nicht so schwer. Lieben ging schon mal gut. Offenheit und Vertrauen waren dagegen problematisch. Meine tiefsitzende Bindungsangst ließ sich nicht so leicht ablegen und mutierte mehr und mehr zum miesen kleinen Beziehungssaboteur. Das große Aber, welches sich in einem Meer aus Glückshormonen immer wieder aufbäumte, machte mir zunehmend zu schaffen. Große Gefühle, ja, aber kann ich ihnen trauen? Was, wenn das zerbricht? Was, wenn ich daran zerbreche? Immerhin hatten sich die großen Versprechen in meinem Leben bisher als ziemlich flüchtig erwiesen, zuletzt eben das „Bis dass der Tod euch scheidet“.

Ich wollte die Reißleine ziehen, wieder meine Ruhe haben vor diesem anstrengenden Chaos in meinem Kopf und gleichzeitig alles dafür tun, die blöde Angst nicht zur Bestimmerin über mein Leben werden zu lassen. Ich wollte diesen Mann, diese Beziehung unbedingt. Je größer mein inneres Dilemma wurde, desto häufiger stolperte aber mein Herz. Worauf sollte ich denn vertrauen, wenn die Erfahrung doch ständig das Gegenteil bewies? Ich brauchte mehr Sicherheit.

Meine Therapeutin riet mir zu mehr Offenheit. Meine Freunde rieten mir zu mehr Offenheit. Mein Freund bat um mehr Offenheit. Alle waren der Meinung, dass, wenn ich meine Ängste mitteilen würde, das auch zu mehr Vertrauen und Nähe führen würde. Ich sollte meine Verletzlichkeit zeigen, um weniger das Gefühl zu haben, verletzlich zu sein? Das klang in meinen Ohren wie der Ratschlag, für eine bessere Unfallprävention freihändig und mit geschlossenen Augen zu radeln. Nein danke! Erst als ich die Auswertung meines Langzeit-EKGs bekam, sah ich ein, dass ich wohl keine Wahl hatte, wenn ich die Beziehung und meine Gesundheit nicht an die Wand fahren wollte.

Anhand des Protokolls, das ich für die Zeit der Messung führen sollte, konnte ich die Auffälligkeiten mit den Momenten der Angst zusammenbringen. Schwarz auf weiß hatte ich meine Panik nun vor Augen. Ich nahm all meinen Mut zusammen und trat endlich die Flucht nach vorne an. Rückblickend wohl eine der besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe. Ich lernte etwas Entscheidendes: Ich glaubte lange, Vertrauen und Sicherheit müssten mir von außen gegeben werden. Wie etwas, das man mir zu beweisen hat, sodass ich den nächsten Schritt machen kann. Heute weiß ich, dass es vor allem um das Vertrauen und die Sicherheit geht, die ich mir selbst geben kann. Ich bin sicher und vertraue darauf, dass egal, was passiert, ich damit umgehen werde. Verletzlichkeit zu zeigen, das hat mich stärker gemacht.