Liebe und Therapie: Warum beides so gut zusammenpasst

Unser Autor schwört auf Therapien. Auch, weil er irgendwann verstanden hat, dass Offenheit in Beziehungen Grenzen haben sollte.

„Wenn ich an einige meiner Ex-Partner denke, dann denke ich auch an ihre jeweiligen Therapeut:innen.“
„Wenn ich an einige meiner Ex-Partner denke, dann denke ich auch an ihre jeweiligen Therapeut:innen.“Roshanak Amini für Berliner Zeitung am Wochenende

Ich klicke mich durch Online-Profile, schaue mir Bilder an und lese Profiltexte. Passt die Person zu mir? Haben wir Gemeinsamkeiten? Welches Geschlecht soll die Person haben? Sind wir in der gleichen Nachbarschaft? Ich schreibe Nachrichten und hoffe, dass ich schnell eine Antwort bekomme. Nervös checke ich immer wieder meine Mails, ein paar Absagen kommen sofort. Es reicht nicht, einfach irgendwen zu finden, es muss menschlich passen. Man geht zu Erstgesprächen und entscheidet sich danach, ob es gemeinsam weitergeht. Es gibt so viele Hürden und es erfordert so viel Einsatz, dass ich mich lange dagegen gesträubt habe, wieder auf die Suche zu gehen. Was ich suche, ist kein Partner, sondern ein Therapeut.

Die inneren Narben liebevoll massieren

Wer mich kennt, weiß, dass ich ein Therapie-Ultra bin. Auch wenn ich mich schon in die verschiedensten Selbstfindungserfahrungen geworfen habe, glaube ich nach wie vor, dass Therapie unersetzlich ist, wenn man nachhaltig an sich arbeiten möchte. Damit bin ich nicht alleine. In meinem Umfeld sprechen Menschen über ihre Therapeut:innen wie über eine wichtige Bezugsperson. Eine befreundete Person scherzte mal, dass wir eine Dating-Plattform gründen sollten, auf der sich nur Menschen mit Therapieerfahrung anmelden dürfen. Wie würden da die Eisbrecher aussehen? „Und du, machst du Verhaltenstherapie oder Gestalt?“ 

Therapie hat für mich übrigens nichts mit Krankheit zu tun – ich glaube, dass es gerade als queere und marginalisierte Person unmöglich ist, seelisch unbeschadet in dieser Gesellschaft aufzuwachsen. Wir alle tragen Narben in uns, die unsere emotionale und psychische Bewegungsfreiheit einschränken, bis wir anfangen, sie liebevoll zu massieren. Die Bereitschaft zur Selbstreflektion, die eine Therapie erfordert, ist auch für eine gute Beziehung unverzichtbar. In der Liebe kommt viel innerer Ballast hoch. Warum sich da alleine durchbaldowern?

Leider ist die bloße Bereitschaft meistens nicht genug. Seit der Pandemie sind die ohnehin schon raren Therapieplätze noch knapper, ein erstes Date mit Therapeuten zu finden, ist schwierig. Besonders diejenigen mit Kassenzulassung sind schnell ausgebucht, mit Glück schafft man es auf die Warteliste. Es gibt auch Therapeuten, die nur von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen werden, wenn man durch ein aufwändiges Verfahren beweist, dass man keine andere Therapie gefunden hat und dringend eine braucht. Wer privat versichert ist oder selbst zahlt, findet wahrscheinlich einfacher einen Platz. Aber Therapiesitzungen sind teuer, und damit ist Selbstbezahlen ein großes Privileg. Als ich für meine erste Therapie durch den Bewilligungsprozess ging, hatte ich Depressionen und konnte meinen Alltag kaum bestreiten. Es hat mich damals viel Kraft gekostet, mich durch die Bürokratie zu kämpfen in der Hoffnung, dass mir eine Therapie zugestanden wird. 

Liebe kann Therapie nicht ersetzen

Wenn ich an einige meiner Ex-Partner denke, dann denke ich auch an ihre jeweiligen Therapeut:innen. Diese habe ich zwar persönlich nie getroffen, aber sie sind mir in Erinnerung geblieben, als wären sie Teil der Beziehung gewesen. Da ist Barbara, die unheimlich einfühlsam gewesen sein soll und in jeder Sitzung eine andere Methode ausprobiert hat. Da ist die Gruppentherapie, die am Anfang angeblich sehr einschüchternd war, aber in die sich mein Ex dann irgendwann doch eingefunden hat und in der später auch einiges eskalierte. Da ist eine andere Gruppentherapie, bei der die Therapeutin selbst wohl ziemlich intensiv war, aber ein paar solide Lebensweisheiten dagelassen hat. Die Therapie-Erfahrungen von Menschen, die ich gedatet habe, passen irgendwie auch immer zu den Menschen selbst. Ob sie sich auch an meine Geschichten erinnern? Zum Beispiel an die Zeit, in der ich jede Woche in einer Gruppe saß und wir über Emotionsregulation und Fertigkeiten diskutierten. Oder an den therapeutischen Meditationskurs, in dem alle Teilnehmenden fleißig ihr Selbstmitgefühl kultivierten. Viele Geschichten, viele Ansätze – es gibt nicht die eine Therapie.

Vorsicht, jetzt wird es kitschig. Ich habe mal in einem spirituellen Dating-Ratgeber gelesen: „Wenn sich das Herz für Liebe öffnet, dann öffnet sich das Herz auch für all das, was da sonst noch drin herumlungert. Muster aus der Kindheit, schlecht verheilte Narben, emotionale Verwachsungen: Eine Beziehung bringt alles zum Vorschein, was sich vielleicht sonst irgendwie verstecken ließe.“ In einer Partnerschaft finde ich es deswegen wichtig, einen Raum zu haben, in dem ich radikal alle Zweifel und Probleme auspacke, ohne dass mein Gegenüber sich, wahrscheinlich zu Recht, angegriffen fühlt. Dieser Raum ist für mich die Therapie. Auch wenn ich Offenheit und Ehrlichkeit in einer Beziehung für unabdingbar halte, gehen mir manchmal Dinge durch den Kopf, die ich wirklich nur von einem bequemen Sessel aus einer Person mit Klemmbrett auf dem Schoß erzählen will.

Das Gleiche gilt übrigens für Freundschaften. Zwar sind emotionale Arbeit und gegenseitige Unterstützung für gute Freundschaften unverzichtbar, aber es gibt ein Level an Reflektion, das ich nicht mit Freund:innen bewältigen kann. Mitgefühl und gegenseitiges Verständnis gehören zu einer intimen Beziehung oder engen Freundschaft dazu, aber Freunde und Partner können keine Therapeuten ersetzen. Zwischen diesen Beziehungen zu balancieren, kann eine Herausforderung sein. Zwischenzeitlich war ich so sehr an Therapie gewöhnt, dass ich vergessen hatte, mich meinem Umfeld mitzuteilen. Was ich schließlich gelernt habe: Gespräche über uns sind kein Entweder-oder, sondern ein Und. Freund:innen, Partner:innen, Therapeut:innen – sie alle prägen und halten uns. Sie öffnen Räume, in denen wir mit uns selbst konfrontiert werden. Herauszufinden, wie man sich in diesen Räumen wohlfühlt, darin liegt die Kunst.

Der Autor legt Wert auf die Verwendung des Doppelpunkts als Mittel der Sichtbarmachung aller Geschlechter.