Literatur-Auszeichnung für Berlinerin: Sibylle Lewitscharoff erhält Georg-Büchner-Preis
Darmstadt - #image(0)
Mit 13 hatte Sibylle Lewitscharoff eine „Heilserfahrung“. Ein LSD-Trip katapultierte sie in der Straßenbahnlinie 6 Richtung Degerloch aus dem schwäbischen Provinzmuff direkt in den Himmel hinauf. Dort saßen friedlich beisammen die Großeltern und der Vater, der sich kurz zuvor mit seinem Selbstmord aus dem Staub gemacht hatte. Zum Himmel und zum Totenreich hat die herrlich schräge Schriftstellerin also schon immer eine besondere Beziehung gehabt. In ihren 2011 gehaltenen Poetikvorlesungen nennt sie „das Gespräch mit den Toten“ als ein Ziel ihres Schreibens.
Für ihre „erzählerische Fantasie und sprachliche Erfindungskraft, mit der sie die Grenzen der Wirklichkeit sprengt“, verleiht ihr die Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung jetzt den mit 50.000 Euro dotierten Georg-Büchner-Preis.
Wenn die studierte Religionswissenschaftlerin in einem autobiografisch grundierten Roman zwei lästermäulige Schwestern ins Land ihres Vaters, nämlich ins „verbaut, verpatzt, verdreckte“ Bulgarien schickt, dann heißt nicht bloß der Reiseführer „Apostoloff“, sondern auch der Vater trägt den bedeutungsschweren Namen „Kristo“. Aber statt für jesusmäßig Erlösung steht der „feige Selbstmörder“ nur für einen „albernen Bulgaren“, den die Tochter in „gepflegtem Hass“ entsorgen muss. Denn die 1954 in Stuttgart geborene Schriftstellerin hat weder ihren Dialekt abgelegt, noch den damit verbundenen abgründigen Negativismus. Mit schwäbisch heimtückischem Verniedlichungstrieb, in dem jeder Jammerlappen zum „Jammerläppchen“, korrekter wäre noch „Jammerläpple“, wird, verbindet sie aufs Eleganteste das Possierliche mit dem Pessimistischen.
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Die „formschöne Prosa“ für die Lewitscharoff schon 1998 den Ingeborg-Bachmann-Preis erhielt, ist dabei kein dekorativer Selbstzweck, sie dient der Präzision der Beschreibung eines psychischen „Heikelraumes“, in dem sich Wahnsinn und religiöse Spinnerei austoben. Eine Einladung für leichte Lektüre ist es nicht, wenn sie ihren Roman über einen wodkatrinkenden und selbstredend unglücklich Liebenden „Consommatus“, also nach Jesus’ Ausspruch am Kreuz „Es ist vollbracht“ betitelt. Dabei sind Lewitscharoffs artistisch verzwirbelte Romane zu Tod, Glaube, Jenseits und dem Weg zurück in die gerne mit geistigen Getränken illuminierte Gegenwart voll doppelbödigem Sprachwitz und launiger Ironie.