Der ukrainische Schriftsteller Andrej Kurkow fährt in der kommenden Woche mit zwei neuen Titeln zur Frankfurter Buchmesse. Das eine Buch, der Krimi „Samson und Nadjeschda“, kam im Juli auf Deutsch heraus. Das andere, „Tagebuch einer Invasion“, ist nicht nur praktisch druckfrisch – erst in der vergangenen Woche erschienen –, sondern wurde schon mit einem Preis bedacht. Kurkow erhält, wie am Donnerstag bekannt wurde, den Geschwister-Scholl-Preis 2022. Die Auszeichnung gilt, so steht es in den Regeln, stets einem Buch, das von geistiger Unabhängigkeit zeugt und geeignet ist, bürgerliche Freiheit, moralischen, intellektuellen und ästhetischen Mut zu fördern. Verliehen wird sie Ende November in München.
Andrej Kurkow ist 1961 in Leningrad geboren und in Kiew aufgewachsen. Er ist ein mehrsprachiger Autor. Seine Romane wie „Pinguine auf dem Eis“ und „Graue Bienen“, die in der halben Welt gelesen werden, schrieb er auf Russisch. Ukrainisch benutzt er für essayistische Texte und Zeitungsartikel. Deutsch beherrscht er so gut, dass er in dieser Sprache Interviews geben kann, wie kürzlich in der Berliner Zeitung. Auf Englisch hat er einen Podcast aufgenommen, hält er Reden auf internationalen Kongressen und schreibt er außerdem. Der österreichische Haymon-Verlag hat das neueste Buch aus dem Englischen übersetzen lassen.
Wie die Angst wächst
Es ist ein Tagebuch, das eine Zeitenwende festhält. Kurkow beginnt nicht mit dem 24. Februar, dem ersten Tag des russischen Überfalls auf sein Land, sondern mit dem 29. Dezember 2021. „Auf Nimmerwiedersehen, Delta! Willkommen, Omikron!“, ist der Eintrag überschrieben, in dem eine Geldprämie für Geimpfte genauso vorkommt wie das Maskentragen. Doch der Krieg ist auch schon präsent. „Als die Staatsduma der Russischen Föderation 2014 bei der Annexion der Krim dafür stimmte, Russlands Truppen auf einem anderen Staatsgebiet kämpfen zu lassen, hatten wir alle große Angst“, schreibt er. Auf den folgenden Seiten beobachtet er, wie russische Propaganda in sein Land eindringt und wie eine neue Angst wächst. Er schaut auf den Alltag und in die Medien. Sehr genau beobachtet er, wie die russische Sprache als Streitgegenstand instrumentalisiert wird.
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Am 24. Februar ist der Autor nur in der Lage, eine halbe Seite zu füllen, die folgenden Tage bleiben ohne Eintrag, bis er das Schreiben wieder aufnimmt. Kurkow sieht die Zerstörungen, folgt den Nachrichten und reist in andere Länder. Als Präsident der ukrainischen Sektion der Schriftstellervereinigung PEN kämpft er für die Sache der Ukraine. Sein neues Buch zeigt, dass er dabei niemandes Sprachrohr ist, sondern ein kritischer Geist.