Julia Franck tritt in Enzensbergers Fußstapfen
Die Berliner Schriftstellerin verantwortet künftig die renommierte Andere Bibliothek: Ein Buch pro Monat in 3333 Exemplaren. Nun mit weiblichen Blick.

Es gibt noch Positionen, die eine Frau heutzutage als Erste erklimmen kann. „Julia Franck wird die erste Herausgeberin in der Geschichte der 1985 gegründeten Anderen Bibliothek“, teilt die Aufbau-Verlagsgruppe in Berlin am Donnerstag mit. Das mag für Menschen, die sich mit dem Literaturbetrieb noch nicht weiter beschäftigt haben, fremd klingen. Für die Mehrheit der Leserschaft dürfte der Name der vielfach ausgezeichneten Schriftstellerin Julia Franck vertrauter sein als die Marke, für die sie nun antritt.
Enzensberger gründete Die Andere Bibliothek als Nörgler
Allerdings: Die Andere Bibliothek ist eine Buchreihe nicht nur mit Geschichte, sondern mit Aura. Als der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger und der Buchgestalter Franz Greno sie im Jahr 1984 begründeten, outeten sie sich als „Nörgler und Unzufriedene“. Der umfangreichen Versorgung der Einwohner der damaligen Bundesrepublik mit jährlich mehreren Tausend Neuerscheinungen wollten sie etwas Besonderes hinzufügen.
Höchsten inhaltlichen und formalen Anspruch versprachen sie. Enzensberger blieb bis 2004 dabei. Nach einigen Wechseln verantwortete Christian Döring die Reihe seit 2011. Einige Bücher begründeten den Ruhm der Autoren, etwa Irene Disches „Fromme Lügen“ oder Christoph Ransmayrs „Die fremde Welt“; sie wurden in anderen Verlagen nachgedruckt. Bis heute gibt es jeden Monat einen neuen Titel aus unterschiedlichen Genres – Entdeckungen neuer Autoren, auch zu Unrecht vergessener. Im August 2022 erscheint der 450. Band. Jedes Buch ist individuell gestaltet; es gibt davon genau 3333 Stück.
Julia Franck hat ein enges Verhältnis zu bildender Kunst
Julia Franck, 1970 geboren, debütierte 1997 mit dem Roman „Der neue Koch“. Zuletzt veröffentlichte sie das Buch „Welten auseinander“, eine tief bohrende Erkundung ihres Aufwachsens und ihres Wegs zum Schreiben. Sie hat bisher als Herausgeberin nur für den Band „Grenzübergänge. Autoren aus Ost und West erinnern sich“ gearbeitet, war als Übersetzerin aus dem Englischen tätig und bewies mit mehreren Texten zu bildender Kunst ein starkes Interesse über die Literatursprache hinaus.
In einer Mitteilung nennt sie ihre neue Aufgabe „Ehre und Vergnügen“. Sie freue sich, „die Leserinnen und Leser mit den kommenden Büchern auf meine Entdeckungsreisen mitzunehmen und für den weiblichen Blick zu öffnen“. In Berlin hat Julia Franck übrigens eine Kollegin, die seit fast zehn Jahren zugleich Herausgeberin und Autorin ist: Judith Schalansky verantwortet die Reihe Naturkunden im Verlag Matthes & Seitz.