Eine schrecklich toxische Familie: Douglas Stuart und sein Buch „Young Mungo“

Für sein Debüt „Shuggie Bain“ bekam Douglas Stuart direkt den renommierten Booker Prize. Wie kann er nun mit „Young Mungo“ an den Erfolg anknüpfen?

Douglas Stuart
Douglas StuartClive Smith

Mungos Leben im schottischen Glasgow der frühen Margaret-Thatcher-Jahre ist kein Zuckerschlecken. Als wäre die Welt nicht ohnehin schon kompliziert und aufregend genug, wenn man 15 ist! Seine Mama, Maureen, schaut nur sporadisch zu Hause vorbei, wenn sie bei ihrem neuen Typen rausfliegt – und nicht gerade an der Imbissbude belegte Brötchen verkauft und dabei Obstschnaps aus Bechern kippt.

Wann immer Maureen dann doch mal heimkommt, wird sie von Mungos eigentlich empathischer Schwester Jodie, die mit ihrem Sozialkundelehrer ins Bett steigt (anfangs gerne, später angeekelt), rasch wieder vergrault. Auf den anderen Stockwerken im trostlosen Mietshaus sieht es auch nicht besser aus: Eine Frau, die sich um Mungo und Jodie sorgt, erfindet Stürze von der Leiter, um zu vertuschen, dass ihr Mann sie schlägt. Und den etwas durchgeknallten, aber eigentlich harmlosen schwulen Junggesellen aus dem anderen Stock verunglimpft man als Kinderschänder.

Mungos Bruder Hamish wiederum (den man aber nur Ha-Ha nennen darf, wenn man keine Prügel riskieren will) ist der Anführer einer protestantischen Gang, die sich entweder mit Katholiken-Boys kloppt oder nachts Bauhöfe überfällt; wobei schon mal einem Schutzmann mit einem Backstein der Kiefer zu Bruch gehauen wird, um nicht hinter Gittern zu landen. Wer zu zärtlich dafür ist, Polizisten abzustechen, den nennen sie in dieser Diebes-Clique, wenn sie nett drauf sind, eine „Schwuchtel“. Uff.

„Young Mungo“ von Douglas Stuart ist vergleichbar mit „Shuggie Bain“

Für Mungo ist all dies aber kein besonderer Trauma-Tag; sondern einfach Alltag im zweiten Roman von Douglas Stuart: „Young Mungo“. Eben dieser Mungo kuschelt sich trotzdem (oder vielleicht: gerade deshalb) an seine Mutter, seine Schwester und, soweit es unter „harten Jungs“ geht, auch an seinen Bruder. Wirklich fündig in Sachen Gegenliebe wird er aber in einem Schuppen voller Taubenscheiße: Dort züchtet Jamie Vögel. Unpraktischerweise ist er auch noch Katholik. Zwischen den beiden, einander neckenden Teenagern knistert „es“. Das ist zauberschön und todesgefährlich, wenn man in Young Mungos Welt wohnt.

Douglas Stuart erzählt von einem ähnlichen Milieu wie in seinem hochgelobten, mit dem renommierten Booker-Preis ausgezeichnetem Debüt „Shuggie Bain“ von 2020. Auch da ging es um einen sensiblen Jungen und das auf schwierige Weise doch auch beglückende Verhältnis zu seiner alkoholkranken Mutter. Wobei man wohl eher sagen sollte: Douglas Stuart, der in New York lebende Schotte, der mal Modedesigner bei Calvin Klein war, aber inzwischen sehr gut vom Schreiben leben kann (1,75 Millionen Mal verkaufte sich allein das Debüt), erzählt nicht einfach von diesem Milieu, sondern (durchaus vergleichbar mit dem autofiktionalen Schreiben Édouard Louis’) aus diesem Leben heraus: Er selbst wurde in Glasgow groß und hat dort Schläge eingesteckt. Seine Mutter starb am Alkohol als Stuart 16 war.

Was Douglas Stuart uns in seinem zweiten Buch zumutet, ist teilweise nur sehr schwer auszuhalten. Auch von Vergewaltigungen schreibt er. Aber Mungo ist in allem, was ihm widerfährt in dieser Welt und wie er auf sie reagiert, kein eindimensionales Opfer, sondern ein Mensch, der in einem verfahrenen Setting Hoffnung atmet und die Luft anhält, so lang er küssen kann. Manches erinnert an die Sozialbausiedlung im britischen Coming-out-Filmklassiker „Beautiful Thing“ von 1996. Douglas Stuart lässt die rotzgetränkte Sprache der Straße kollidieren mit einer Poesie der Liebe. Ein lesenswertes schwules „Romeo und Julia“ mit sozialrealistischer Breitseite. Salzig essen nicht vergessen, für den Tränenvorrat.

Douglas Stuart: Young Mungo. Roman. Aus dem Englischen von Sophie Zeitz. Hanser Berlin 2023. 416 Seiten, 26 Euro