Alexa Hennig von Lange, wie war es, die Stimme Ihrer Großmutter wieder zu hören?

„Die karierten Mädchen“ ist ein Roman über eine Frau im vorigen Jahrhundert. Alexa Hennig von Lange hat ihre Figur selbst kennengelernt.

Die Schriftstellerin Alexa Hennig von Lange veröffentlicht jetzt den Roman „Die karierten Mädchen“. Er eröffnet eine Trilogie.
Die Schriftstellerin Alexa Hennig von Lange veröffentlicht jetzt den Roman „Die karierten Mädchen“. Er eröffnet eine Trilogie.Madlen Krippendorf

Der Roman „Die karierten Mädchen“ erzählt von einer jungen Frau, die als Lehrerin in einem Kinderheim in der Nähe von Dessau in den 1930er-Jahren in Verantwortung kommt. Alexa Hennig von Lange gestaltet diese Figur nach dem Vorbild ihrer Großmutter – die etliche besprochene Tonbandkassetten hinterlassen hat. Die Bücherfrage der Woche geht an die Autorin: Wie war es für Sie, schreibend mit der Stimme der toten Großmutter zu leben?

Schon das Hören war besonders. Meine Großmutter hat mich als Kind sehr geprägt. Wir haben sie oft besucht, auch weil sie am Ende ihres Lebens Hilfe brauchte. Dort im Haus wurde alles Kindliche heruntergedrosselt zu einer gedämpften Stimmung. Sie strahlte etwas aus, als würde von außen Gefahr drohen. Das hat mich lange beschäftigt.

Ich habe sie manchmal mit dem Mikrofon vor dem Kassettenrekorder sitzen gesehen. Als sie mit 93 Jahren starb, hinterließ sie mehr als 130 Kassetten. Meine Mutter hat sie alle aufbewahrt, zusammen mit Briefen und Fotos. Irgendwann fielen sie mir bei ihr ins Auge. Nach meinem letzten Buch fing ich an hineinzuhören, erst einmal querbeet. Meine Großmutter erzählte sehr ausführlich ihr Leben, angefangen von ihrer Kindheit in der Kaiserzeit bis in die Bundesrepublik der 60er-Jahre. Es entstand ein enormer Kosmos vor mir, den ich so nicht erwartet hatte.

„Sie glitt in das politische System hinein“

Sie war eine emanzipiert denkende junge Frau. Doch ihrem Kinderkurheim war sie bald damit konfrontiert, dass die nationalsozialistische Regierung solche Heime übernahm, um sie zu Ausbildungsstätten zu machen. Meine Großmutter glitt also in dieses politische System hinein. Sie heiratete, kurz darauf wurde ihr Mann zum Krieg eingezogen, sie wurde in jedem seiner Urlaube schwanger und versuchte dann, ihre Kinder zu schützen.

Die Stimme meiner Großmutter war ganz anders, als ich sie in Erinnerung hatte. Als sie von ihrer Jugend sprach, klang eine große Fröhlichkeit heraus. Im Wandel der Zeiten änderte sich das bis zu einem rigiden, zögernden Sprechen. Nach Kriegsende klang sie dann sehr mütterlich, emotional, ja weich.

Für mich war das ein Kennenlernen. Ich habe versucht nachzuempfinden, wie sie sich zu welcher Zeit gefühlt hat, was in ihr vorgegangen sein mag. Dafür habe ich das Schreiben genutzt. Und auch, um das mit mir selber in Abgleich zu bringen.

Alexa Hennig von Lange: Die karierten Mädchen. Dumont, Köln 2022. 368 Seiten, 22 Euro.