Wie Sabrina Janesch in „Sibir“ deutsche, polnische und russische Geschichte verwebt
Die Autorin kommt mit ihrem neuen Roman nach Berlin. Der Polen- und Russland-Kenner Olaf Kühl wird mit ihr sprechen.

Noch bevor der Übersetzer, Romancier und Osteuropa-Kenner Olaf Kühl seine „Kurze Geschichte Russlands, von seinem Ende her gesehen“ veröffentlicht, sitzt er am Mittwoch als Moderator einer anderen Buchpremiere auf der Bühne des Pfefferberg-Theaters. Er spricht mit Sabrina Janesch über ihren Roman „Sibir“, der jetzt bei Rowohlt Berlin erschienen ist. Die Bücherfrage der Woche an ihn lautet: Auch Sabrina Janesch führt in die russische Geschichte, haben Sie etwas aus ihrem Buch gelernt?
Olaf Kühl: Die Geschichte der Vertreibungen, Aussiedlungen, Verbannungen ist mir natürlich auch aus Publikationen und aus meinem Studium bekannt. Das Interessante und Schöne an dem Buch ist, wie Sabrina Janesch die historischen Fakten in Literatur verwandelt. Sie erzählt von einer deutschen Familie, die in Galizien gelebt hat und nach der Einnahme durch die Rote Armee nach Westpolen zog. Damals war das mit der Parole „Heim ins Reich“ verbunden: Es war das Wartheland, wo die polnischen Bauern zugunsten deutscher Siedler enteignet wurden. Von dort wurde diese Familie nach Kasachstan verbannt.
Das Dorf, in dem ich ab und zu bin, Dominikowo, liegt auch in Westpolen. Es war früher das deutsche Mienken, heute leben hier wiederum Menschen, die nach 1945 von Stalin aus Ostpolen, der jetzigen Westukraine, hierher umgesiedelt worden sind. Die Traumata und Empfindlichkeiten von Vertriebenen sind mir insofern nicht ganz fremd.

Sabrina Janeschs Kunst besteht darin, dass sie dieses Thema anschaulich und erlebbar macht. Das gilt auch für die Zeitebenen. Sie wechselt zwischen dem Nachkriegsleben in der Heide in Niedersachsen zu Rückblenden in Kasachstan, wo die Menschen nur mit Mühe überlebten. Nach 1990 kamen dann in das fiktive Mühlheide neue Aussiedler aus Kasachstan. Die dort schon Ansässigen fühlten sich von ihren eigenen Landsleuten manchmal geradezu überrannt. Der Vater Josef Ambacher nimmt zwölf Menschen auf. So führt das Buch zum Nachdenken über den Umgang mit Flüchtenden heute. Wie weit reicht Solidarität, wann beginnt Überforderung, welche Ängste sind da? Nicht zuletzt aber ist dieser Roman eine große, faszinierende Vater-Tochter-Geschichte. Er handelt von dem Versuch, die Vergangenheit dem Vergessen zu entreißen.
Sabrina Janesch liest aus „Sibir“, Olaf Kühl spricht mit ihr. Mi., 8.2., 20 Uhr, Pfefferberg-Theater