Günter-Grass-Preis: Ulrike Edschmid erhält den Günter-Grass-Preis
Die Berlinerin erzählt an persönlichen Fällen entlang von deutscher Geschichte. So wie sie schreibt niemand über linken Terrorismus.

Wir haben das Jahr 2022, doch in Lübeck wird am Freitag eine Auszeichnung verliehen, deren Zuordnung noch auf 2021 datiert. Sie gilt der Berliner Schriftstellerin Ulrike Edschmid und trägt den Namen eines noch immer sehr prominenten Autors, eines Literaturnobelpreisträgers: Es ist der Günter-Grass-Preis.
Edschmid wiederum ist sehr zu Unrecht nur einem engeren Leserkreis bekannt. Ihre Romane und Erzählungen, die oft das Forschen in der Vergangenheit mit Reflexionen über Politik, Sprache und die Rolle der Frau in der Gesellschaft verbinden, sind durchaus für ein großes Publikum zugänglich geschrieben.
Die Terroristinnen in „Frau mit Waffe“
Ihr jüngstes Buch, der 2021 erschienene Roman „Levys Testament“, greift zurück in das einerseits musikgeprägte London der Siebzigerjahre, in dem sich andererseits Ausläufer der nordirischen Unruhen spiegelten. In ihrer speziellen Form der Geschichtserkundung verknüpft sie Details und gelangt so über Generationen zurück. Im Roman „Das Verschwinden des Philip S.“ (2013) und in dem Band „Frau mit Waffe“ (1996) mit zwei Geschichten erzählt Ulrike Edschmid von Menschen, die in West-Berlin ins Umfeld des linken Terrorismus gerieten – und von ihrer eigenen Berührung mit dieser Szene. Ihr zurückhaltender, dabei nicht sympathisierender Ton unterscheidet sich von allem, was man sonst über RAF und andere zu lesen bekommt. Ein besonderer Berlin-Roman ist „Ein Mann, der fällt“ (2017), der von einem Schicksalsmoment ausgehend Erlebnisse in der Stadt mit der Geschichte einer Liebe verwebt.
Mit dem Preis, den die 1940 in Berlin geborene Ulrike Edschmid nun für ihr Lebenswerk erhält, hat es eine besondere Bewandtnis. Er wurde ursprünglich vom Namensgeber selbst angeregt, und zwar als Literaturpreis „von Autoren für Autoren“ (wie er von 2011 bis 2017 auch hieß). Üblicherweise entscheiden ja Jurys aus Literaturkritikern, -wissenschaftlern, oft auch Buchhändlern und anderen Literaturvermittlern über Preise und Stipendien, manchmal sind Autoren mit dabei. Hier sind es ausschließlich Schreibende selbst (etwa Dagmar Leupold, Sherko Fatah und Norbert Niemann), die einen der ihren auswählen – so wie es früher beim Preis der Gruppe 47 war.
Die Gruppe 47 (die es von 1947 bis 1967 gab) war auch Vorbild für Grass, als er Anfang dieses Jahrhunderts das Lübecker Literaturtreffen einberief, eine regelmäßige offene Gesprächsreihe von Autoren, zu der ausdrücklich keine Kritiker kommen sollen. Der Preis wurde 2011 erstmals gestiftet, seit 2017 heißt er Günter-Grass-Preis, seit 2021 soll er alle zwei Jahre von der Hansestadt Lübeck für ein Lebenswerk vergeben werden, dotiert mit 10.000 Euro. Und unter dieser Prämisse ist Ulrike Edschmid nun die erste Preisträgerin. Im vergangenen Jahr hat Corona ihre Ehrung verhindert.