Wenn Elon Musk nun Wladimir Putin zum Duell fordert, geht es da um Ehre?

„Duellliteratur ist wieder Gegenwartsliteratur“, behauptet der Schriftsteller Rayk Wieland im Gespräch über seinen Roman „Beleidigung dritten Grades“.

Ein Duell in Nahaufnahme.
Ein Duell in Nahaufnahme.imago/Westend61

In Rayk Wielands neuem Roman „Beleidigung dritten Grades“ wird ein Duell in die Gegenwart verlegt. Zwei Männer wollen sich hier nach allen Regeln der Kunst duellieren, was zu reichlich Konfusion und Kuddelmuddel führt, vor allem aber zu großer Ratlosigkeit. Wir sprachen mit dem Schriftsteller über die Faszination von Duellen, den Untergang der „Costa Concordia“ und die „Jurassic-Park-Situation“.

Herr Wieland, wer Ihren Roman „Beleidigung dritten Grades“ liest, könnte meinen, Sie plädieren für eine Wiedereinführung von Duellen. Sagen Sie uns bitte, dass das nicht stimmt.

Na ja, wer den Roman liest, wird feststellen, dass es eine Figur darin gibt, die das Duell wiederbeleben will, richtig. Das ist ein Antiquar, der aus der Zeit gefallen ist, etwas wunderlich, etwas abgedriftet, weil er zu viele Duellbücher gelesen hat. Im Grunde ein moderner Don Quichotte, der einst auszog, die Regeln der Ritterlichkeit und Ehre zu verteidigen gegen die allgemeine Wurstigkeit und Ignoranz. Ein ähnliches Motiv würde ich dem Antiquar Alexander Schill in meinem Buch auch unterstellen. Der glaubt einfach, die Leute würden sich besser benehmen, wenn sie wüssten, dass es um etwas ginge, um ihr eigenes Leben zu Beispiel. Es ist nicht so museal, wie es klingt. Der Don Quichotte ist es übrigens auch nicht. Gegen Windmühlen oder Windräder zu kämpfen ist gerade wieder sehr aktuell.

Aber wie soll man sich das vorstellen? In den USA darf fast jede Person Waffen in der Öffentlichkeit tragen, doch selbst dort sind Duelle nicht üblich. Duelle sind bei uns verboten.

Verboten waren Duelle fast immer. Friedrich II. hatte das Duellieren in Preußen untersagt und gleichzeitig seinen Offizieren mit Entlassung gedroht, sollten sie sich daran halten. Heutzutage sind Duelle so aus der Zeit gefallen, dass sie deshalb wieder interessant werden. Wir alle leben in einer von der Kindheit bis zum Tod durchmoderierten, weitgehend ereignislosen biografischen Endlosschleife, die ein paar „unerhörte Begebenheiten“ mehr vertragen könnte. Sicher kennt niemand mehr einen Duellkodex und riskiert sein Leben, um Genugtuung zu geben. Bei Satisfaktion denken die Leute an die Rolling Stones. Aber das genau ist die ideale Jurassic-Park-Situation. Irgendjemand kommt immer und stolpert über ein Ei, und dann ist das Geschrei groß.

Infobox image
Facebook/Rayk Wieland
Zur Person
Rayk Wieland, Jahrgang 1965, Studium der Philosophie, Zeitungs-, Funk- und Fernsehredakteur, lebt als Autor in Leipzig und Mecklenburg. Er schreibt für Titanic, taz, macht Radio- und TV-Beiträge. Er veröffentlichte zuvor die Romane „Ich schlage vor, dass wir uns küssen“ (2009) und „Kein Feuer, das nicht brennt“ (2012).

Beleidigung dritten Grades. Roman, Verlag Antje Kunstmann, München 2022. 366 Seiten, 24 Euro.

In Ihrem Buch ist es ausgerechnet ein Psychiater, der zum Duell gefordert wird und verständlicherweise denkt, er sei im falschen Film oder im falschen Jahrhundert.

Ja, das kann einem etwas konstruiert vorkommen, aber natürlich reißt die Kette am schwächsten Glied. So ein Psychiater sollte wohl gefeit sein vor irrationalen Gewaltexzessen, aber er ist eben auch sehr nah dran. Psychologie und Psychoanalyse wurden populär, als in Europa die Duelle verschwanden – am Anfang des letzten Jahrhunderts. Wenn zuvor zwei Leute kurzen Prozess machten, saßen sie dann auf der Couch und meditierten über internalisierte Beleidigungen, Kränkungen, Verletzungen, die nicht mehr gerächt werden konnten. Sehr friedlich, sehr gewaltfrei, sehr sensibel und sehr unbefriedigend.

Was sollte daran unbefriedigend sein, sich nicht wegen jeder Kleinigkeit mit dem Tod zu bedrohen? Nennt man das nicht Zivilisation?

Zivilisation heißt eigentlich Arbeitsteilung und Spezialisierung, das Individuum gibt Kompetenzen an andere Institutionen ab. Das ist sehr bequem. Nur der Preis dafür ist hoch, der Einzelne wird immer unzuständiger. Wer gekränkt oder beleidigt wird, geht zum Anwalt oder zum Psychiater, der regelt das dann. Wegfällt dabei die direkte Konfrontation, wegfällt die große Show, wegfällt der Alles-oder-nichts-Moment, das Riskieren seines Lebens für etwas, und sei das eine Albernheit. Noch dramatischer formuliert, fällt damit der Ernst überhaupt weg, denn Sätze und Überzeugungen werden unendlich wertvoller, wenn klar ist, dass man für sie erschossen werden kann. Im Russland des vorletzten Jahrhunderts soll es sogar so etwas wie ein „Duell ohne Grund“ gegeben haben, einfach weil die Leute einen schicksalhaften Moment erleben wollten ...

... einen schicksalhaften Moment! Das scheint in Russland, wenn wir an den aktuellen Krieg gegen die Ukraine denken, fatale Kontinuität zu haben. Auch in Ihrem Roman spielen ja Russlanddeutsche und ihr frivoler Umgang mit Waffen und Waffenhandel eine gewisse Rolle.

Ja, da hat die Realität die Fiktion auf furchtbare Weise überholt. Dieser Krieg scheint insgesamt eine Wiederkehr von Dingen zu sein, die niemand für möglich gehalten hätte. Frontverläufe, Artilleriebeschuss, Bombardierung von Städten – das alles ist wie ein Albtraum aus dem letzten Jahrhundert. Interessanterweise kam hier auch das Duell zu einem Beinahe-Comeback, als der amerikanische Milliardär Elon Musk Putin persönlich zum Duell forderte. Duellliteratur ist wieder Gegenwartsliteratur.

Dann würde man doch gern wissen, warum es überhaupt mit Duellen Anfang des letzten Jahrhunderts weltweit zu Ende ging? Wenn sie so verführerisch sind, wie Sie sie schildern, müsste es doch an jedem Wochenende hinter einem Gebüsch knallen?

Das habe ich mich auch gefragt. Ich denke, es gibt da vor allem drei Gründe. Erstens: Am Ende des Ersten Weltkriegs waren so viele Leute tot, dass es keiner zusätzlichen Leichen bedurfte. Zweitens die Entwicklung der Waffentechnik, die Duelle sinnlos machte. Am Anfang kämpfte man noch mit Lanzen und Messern, später wurden Säbel, Degen und Pistolen verwendet. Mit einem Maschinengewehr ist ein Duell kein Duell mehr. Dazu kam drittens das allgemeine Schwinden der Überzeugungskraft der Religionen. Wer nicht mehr sicher ist, nach seinem Ableben im Jenseits oder im Paradies zu landen, der zögert verständlicherweise mit dem Erschossenwerden.

War es nicht auch die Abschaffung der Adelsprivilegien, die Duelle überflüssig machte?

Sicher spielt das eine Rolle, wobei am Ende das Duellieren eine bürgerliche Mode, ja eine Epidemie war. Zehntausende starben, um ihre Ehre wiederherzustellen. Der tragische Witz dabei ist, dass kaum jemand wusste, was das ist: die Ehre. Schon Shakespeare wusste das nicht, für seinen Falstaff ist Ehre nur ein Wort, nur Luft und bestenfalls ein Schild beim Leichenzug. Wikipedia erklärt den Begriff der Ehre als „Achtungswürdigkeit“, als „verdienten Achtungsanspruch“, merkwürdiger geht’s nicht. So etwas gibt es noch in Kleingaunermilieus oder bei religiösen Fanatikern. Der Roman spielt 2012, da sank gerade das Kreuzfahrtschiff „Costa Concordia“ und der Kapitän ging als Erster von Bord. So viel zur Ehre im Zeitalter des Spätkapitalismus.

Das letzte deutsche Duell fand 1937 statt, zwei SS-Leute schossen da mit Pistolen aufeinander, und es ging natürlich um eine Frau. Hitler soll außer sich vor Wut gewesen sein, als er davon erfuhr. Auch Himmler, von Schirach, der berüchtigte SS-Arzt Gebhardt und Riefenstahl spielen eine Rolle. Warum haben Sie ausgerechnet diese Geschichte in Ihren Roman integriert?

Das war ein Geschenk, denn die Geschichte des letzten deutschen Duells ist völlig unbekannt und unerforscht. Man kann es womöglich damit erklären, dass die kleine Episode im Wald von Hohenlychen 1937 wie ein romantischer Spiegel wirkt, in dem das barbarische Grauen, das zwei Jahre danach beginnen wird, schon aufscheint. So ein Duell ist immer die Schnittstelle zwischen Barbarei und Zivilisation. Einerseits höflichstes Parlando, Regeln und Fair Play, andrerseits Mord und Totschlag. Nahezu alle, die beim letzten deutschen Duell dabei waren, machten sich später grausamster Verbrechen schuldig.

Das Duell scheint mir geradezu ein Paradebeispiel toxischer Männlichkeit: Männer, die sehr männlich eine Sache unter sich ausmachen, und die Sache ist dann meistens eine Frau. Das passt nicht in die heutigen Debatten. Trieb Sie auch die Lust an der Provokation?

Ich glaube ja, das Buch ist eher ein Frauenroman, es gibt hier ja auch erstmals Sekundantinnen, und die Männer darin sind alle irgendwie bedauernswert verpeilt. Mein Thema ist eher das Vergängliche, das Schimärische von Männlichkeit. Duelle, kann man sagen, sind mikroskopisch winzige Szenen der Weltgeschichte, ungeheuer ernst und banal zugleich. Großes Pathos – ja. Das Pathos der Bedeutungslosigkeit.