S. Fischer Verlag kuscht vor NVA-Offizier: Autor Thomas Brussig will wechseln

Ein NVA-Mann hat Brussig in der DDR übel mitgespielt – und wurde damit zur Romanfigur. Der Mann beschwerte sich, der Verlag knickt ein.

Thomas Brussig an der Mauer-Gedenkstätte Bernauer Straße
Thomas Brussig an der Mauer-Gedenkstätte Bernauer Straßeimago/Charles Yunck

Der Berliner Schriftsteller Thomas Brussig bittet seine Verlegerin, die Rechte an seinen Werken freizugeben. Er möchte sich einen neuen Verlag suchen. Er wählt dafür die Form eines halb offenen Briefs: Brussig verschickt ihn per Rundmail an Journalisten mit verdeckter Empfängeradresse. Der S. Fischer Verlag möchte einem möglichen Rechtsstreit aus dem Wege gehen, denn ein ehemaliger NVA-Offizier sieht sich im Roman „Das gibts in keinem Russenfilm“ schlecht getroffen.

In der E-Mail geht der Autor gleich im ersten Satz auf den „fast drei Jahre währenden Zwist“ ein. Dass er sich damit nicht an Siv Bublitz allein wendet, macht dieser Satz klar, denn ihr müsste er nicht erklären, dass es sich bei dem Roman um „eine Parodie auf das Genre der Autobiographie“ handelt, ihr sollte das bekannt sein. Brussig erzählt sein Leben, „wie es sich vielleicht abgespielt hätte, wenn es nie zu Mauerfall und Einheit gekommen wäre und die DDR bis heute fortbestünde“. Der Roman ist 2015 erschienen.

Christa Wolf kommt in „Helden wie wir“ vor

In dem Buch treten viele reale Personen auf, die öffentlich bekannt oder weniger bekannt sind. Und die sich entweder über die Ehre freuen, in einem Roman erwähnt zu werden, oder sich ärgern, weil ihre Rolle nicht zu ihrem Vorteil ausfällt. Das gibt es auch in anderen Büchern, bei anderen Autoren. Thomas Brussig macht das schon immer so. Christa Wolf war vielleicht über ihren Platz in dem Roman „Helden wie wir“, mit dem Brussig seit 1995 berühmt geworden ist, auch nicht glücklich. Oder doch? Sie hatte Humor. Und Gregor Gysi ist in „Wie es leuchtet“ eine Frau Gisi.

Der Zwist dreht sich um das Kapitel „Im Ozean von Scheiße“ ab Seite 32, das von November 1984 bis April 1986 spielt, während der Armeezeit des Icherzählers. Thomas Brussig nennt es in dem Brief an seine Verlegerin eine wahre Begebenheit: Er hat verbotenerweise ein Wehrdienst-Tagebuch geführt, das ihm weggenommen wurde, aus dem vorgelesen wurde, „bevor es reihum an Stasi und Militärstaatsanwalt ging, auf dass ich mit voller Härte bestraft werde“. Damit fand sich sein früherer Kompaniechef dreißig Jahre später also in einem Buch wieder. Und wollte daraus getilgt werden. Und das, obwohl noch vor der Handlung steht: „Die Äußerungen und Taten der Romanfiguren mit den bekannt klingenden Namen sind meines Wissens Erfindungen des Autors. Anders gesagt: Wenn Du, lieber Leser, Dich beim Lesen hin und wieder fragst ‚Hat derundder etwa wirklich …?‘, dann möge in Deinem Kopf als Echo mit meiner Stimme die Antwort erschallen ‚Nö, dis hab ich mir bloß ausgedacht.‘“

Der Ex-Offizier verlangte „Schadenersatz, Verbot des Buches, und er stellte noch allerlei sonstige Forderungen auf, die rechtlich allesamt unhaltbar waren“, so Brussig. Anstatt sich hinter seinen Autor zu stellen, so der Schriftsteller weiter, suchte der Verlag eine Einigung zu erreichen, indem er sich „verpflichten wollte, meinen Roman nicht mehr nachzudrucken“.

Eine Nachfrage bei S. Fischer kurz nach Brussigs E-Mail ergibt zunächst keine Antwort: Der Verlag bereite eine Erklärung vor. Kurz vor einer vom Autor als Videokonferenz einberufenen Fragerunde trifft sie ein. „Zu keinem Zeitpunkt haben wir erwogen, den Roman nicht mehr nachzudrucken, vom Markt zu nehmen oder ganze Passagen zu ändern“, schreibt die Justiziarin. Sie bestätigt ansonsten Brussigs Darstellung, dass man dem Mann angeboten habe, seinen Namen nicht weiter zu nennen. „Wir standen vor der Entscheidung, entweder anzubieten, in künftigen Auflagen des Buches allein den Namen nicht weiter zu nennen oder im Fall eines gerichtlichen Verbots das gesamte Buch nicht mehr ausliefern zu können.“ Was aber auch heißt: Auf ein Gerichtsverfahren wollte man es nicht ankommen lassen. Und ohne Tilgung des Namens unterbliebe die Nachauflage.

Thomas Brussig erinnert an den Streit mit Monika Maron

Für Thomas Brussig bedeutet die Haltung seiner Verlegerin einen Vertrauensbruch. Er erinnert daran, wie S. Fischer vor zwei Jahren sich von seiner Autorin Monika Maron getrennt hat, die mit ihrem Lebenswerk bei dem Verlag war. Bei Maron argumentierte der Verlag moralisch, weil die Autorin zwischendurch ein Buch im Buchhaus Loschwitz veröffentlicht hat. Brussig argumentiert nun seinerseits moralisch und wendet sich so an Bublitz: „Wenn Sie sogar einem DDR-Offizier mit seinen rechtlich haltlosen Forderungen über die Straße helfen, dann bin ich mit keinem meiner Bücher bei Ihnen sicher.“

Der Schriftsteller in Trennung schreibt von einer „großen Trauer“ wegen der jahrzehntelangen Zusammenarbeit; „vielen, vielen S.-Fischer-Mitarbeitern“ sei er für ihre hervorragende Arbeit zu Dank verpflichtet. Übrigens hat er längst Vorbereitungen getroffen. Nach „Das gibts in keinem Russenfilm“ erschien noch ein Buch bei S. Fischer („Beste Absichten“). Der folgende Roman, „Die Verwandelten“, der sehr komisch zwei Männer als Waschbären agieren lässt, kam bei Wallstein heraus – einem ehrenwerten Literatur- und Wissenschaftsverlag, dessen Werbe- und Marketingetat sich allerdings nicht mit dem von S. Fischer vergleichen lässt.

Vor der Laptop-Kamera darauf angesprochen, sagt Brussig, dass er Fischer gern als seinen Verlag für die bisherigen Bücher und die Taschenbuchausgaben behalten hätte. Der „Russenfilm“ ist übrigens noch lieferbar. Die Frage der Nachauflage steht nicht dringlich an. Siv Bublitz, die Verlegerin, schreibt in der E-Mail an die Presse: „Wir haben uns seinerzeit gegen einen Rechtsstreit entschieden, gerade weil uns wichtig war, den Roman ‚Das gibts in keinem Russenfilm‘ weiterhin lieferbar zu halten. Es tut mir sehr leid, dass Thomas Brussig die aus unserer Sicht verantwortungsvoll für Buch, Autor und Verlag getroffene Entscheidung nicht nachvollziehen kann. Seinen Entschluss, sich deshalb vom S. Fischer Verlag zu trennen, bedauere ich außerordentlich.“

Brussig riskiert viel. Nimmt S. Fischer seine Bücher aus dem Programm, würde der Autor den wirtschaftlichen Verlust deutlicher spüren als der Verlag. Der offen verbreitete Brief lässt sich auf zweierlei Weise lesen: als Bewerbung zum Beispiel bei Hoffmann und Campe, wo Monika Maron jetzt veröffentlicht, oder bei dtv, wohin viele Autoren des wie S. Fischer zu Holtzbrinck gehörenden Rowohlt Verlags gewechselt sind. Aber es ist auch eine Einladung zum Nachdenken über künstlerische Freiheit. Wenn ein Verlag seinen Autor nicht vor einem Mann in Schutz nimmt, der in seinem Leben vor dreißig Jahren eine üble Rolle gespielt hat, dann ist es verständlich, dass der Autor diesem Verlag nicht mehr trauen möchte.